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Sex and Crime auf Königsthronen

Titel: Sex and Crime auf Königsthronen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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scharfsinnig gewesen, überliefert Aufklärer Diderot. Reine Schmeichelei? Nicht unbedingt; Psychotiker sind nicht durchgehend geistig »weggetreten«, in guten Phasen sind sie sogar bestechend intelligent.
    Struensee kann den jungen Monarchen für liberales Gedankengut begeistern, die Wahnschübe des psychisch labilen Königs im Zaum halten und dessen Verhalten mäßigen. Einen Hang zu Schwarmgeisterei scheinen beide zu haben. Nur dass die Illusionen des Königs schnell in nachtschwarze Halluzinationen umschlagen, während Struensee das uns nun sattsam bekannte Licht der Vernunft in Europas Paläste tragen will.
    Christian bietet ihm einen Posten als königlicher Leibarzt an, und Struensee sagt zu. Seine zeitgenössischen Gegner halten ihn für einen abgefeimten Emporkömmling, Historiker sehen in Struensee hingegen einen politischen Idealisten par excellence.
    Fakt ist: Der gebürtige Pfarrerssohn kann sich in der dänischen Günstlingswirtschaft behaupten. Allerdings nur dank Billigung des Königs, der mental und seelisch instabil bleibt. Sein Leibarzt wagt es, Politik im Sinne der Aufklärung und gegen Christians mächtige Stiefmama Juliane Marie und gegen konservative Minister zu machen.
    Zwischen 1769 und 1772 zieht Struensee die Regierungsgeschäfte mehr und mehr an sich, wird vom König zum Vorleser, Sekretär der Königin und Kabinettsminister befördert, der sich das Recht herausnimmt, den Staatsrat völlig neu zu besetzen. Im Namen des regierungsuntüchtigen Königs bringt der Leibarzt zwanzig Jahre vor der Französischen Revolution spektakuläre Gesetzesvorlagen durch, die der König praktisch nur noch gegenzeichnet.
    Der beherzte Seiteneinsteiger macht Dänemark zum ersten Land ohne Pressezensur weltweit, er schafft Privilegien und Steuerfreiheiten des Adels ab. Für Reitpferde, Kutschen und livrierte Dienerschaft werden Abgaben fällig. Struensee sorgt für sinkende Brotpreise, indem er Großgrundbesitzern den unbegrenzten Getreideexport untersagt, solange im Land Mangel herrscht, bringt eine Liberalisierung des Scheidungsrechts durch, befreit die Bauern aus der Leibeigenschaft, führt Armenspeisungen ein, schafft die Todesstrafe für Diebstahl und die Folter ab.
    Sein Reformwille kennt keine Grenzen, wirkt oft zwanghaft, gehetzt, sein Feuereifer droht ihn zu verbrennen. Nichts ist für Struensee Nebensache. Er streicht Gesetze, die nur Adligen die Benutzung von Fackeln in Kopenhagens nächtlichen Gassen erlauben. Der Pfarrerssohn gestattet, zum Ärger der protestantischen Geistlichkeit, sonntägliche Theaterspiele.
    Voltaire, den Struensee und der König beim Parisbesuch zwei Jahre zuvor verpasst haben, feiert aus der Ferne und in Verkennung der näheren Umstände den dänischen König als leuchtendes Beispiel aufgeklärter Vernunft. Am dänischen Hof sieht man das ganz anders, Christian gilt bei Struensees Feinden nunmehr als kompletter Volltrottel, der einem gesellschaftlichen Niemand Blankoschecks in Sachen Macht ausstellt.
    Doch noch ist Struensee so populär und mächtig, dass konservative Minister und die Königinwitwe Juliane Marie wutschnaubend zuschauen müssen.
    Jedoch: Der hemmungslose Idealist macht im Übereifer entscheidende Fehler. Viele Reformen sind auf dem Reißbrett entworfen und bleiben im Ansatz stecken. Mit Gesetzen allein lassen sich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht herbeizwingen. Struensee versäumt es, Allianzen zu schmieden, handelt unbedacht und ist bei aller Brillanz ein beratungsresistenter Autokrat. Der Leibarzt entlässt Beamte und Offiziere im großen Stil, teils ohne Pensionsregelung. Beliebte Volksbräuche schafft er als abergläubischen Unsinn radikal ab. Unwirtschaftliche Manufakturen will er schließen, was unter den Manufakturarbeitern Panik auslöst. Die freie Marktwirtschaft ist schließlich noch gar nicht erfunden, auch wenn sie sich später dann wiederum als nicht sehr frei erweist.
    Der Versuch, die Welt im Sieben-Meilen-Stiefel-Tempo zu verbessern, kostet Struensee Sympathien. Und ausgerechnet die von ihm verfügte bürgerliche Pressefreiheit wendet sich nun gegen ihn selbst. Nicht mit kritischen Berichten und politischen Leitartikeln rückt man dem Radikalreformer zu Leibe, sondern mit Karikaturen. Und die befassen sich nach bewährter Tradition womit? Mit Klatsch und Tratsch über Sexsünden und kriminelle Machenschaften im Palast. Großzügig beigesteuert aus gut unterrichteten Höflingskreisen.
    Struensee und Königin Mathilde sind bei Hof

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