Sex and Crime auf Königsthronen
notorisch untreu und zudem als unfruchtbar erwiesen hat, verkündet der Korse: »Ich will eine Gebärmutter heiraten.«
Und diesmal gibt er sich nicht mit der Witwe eines Vizegrafen zufrieden, er heiratet in eine der ältesten und mächtigsten Dynastien Europas ein. In die Familie Habsburg. Eine standesgemäße Braut findet er in Marie-Louise von Habsburg. Die 19-Jährige trägt den schönen alten Titel Erzherzogin von Österreich. Noch begehrenswerter: Sie ist die Tochter von Franz II. Der ist der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Besser kann man ein blutjunges Kaisertum nicht legitimieren und in der Geschichte verankern. Blanker Zynismus? Wahrscheinlich nicht nur. Wer Erfolge verkaufen will, muss zunächst einmal selber daran glauben. Der Held von der Mittelmeerinsel wird an sich und seine Berufung zum Kaisertum geglaubt haben.
Am 15. Dezember 1809 lädt Kaiser Napoleon zu einem großartigen Empfang, wo er seine Scheidung von Joséphine Beauharnais bekannt gibt. Er nennt es eine einvernehmliche Trennung; die Kaiserin ist auch anwesend und eingeweiht, fällt aber angeblich trotzdem in Ohnmacht. Die Scheidung wird am 10. Januar 1810 rechtskräftig. Es ist die erste, die unter dem Code Napoléon ausgesprochen wird.
Modern daran ist immerhin, dass Joséphine hernach ein Leben auf dem Schloss und in Luxus fortsetzen darf und beide sich noch oft treffen. Ob Joséphines Herz dabei auf der Strecke geblieben ist oder ob sie unübersehbare Vorteile nicht verlieren wollte, darüber streiten sich die Biografen.
Der sauber getrennte Napoleon wird am 11.3.1810 per Ferntrauung mit der Habsburgerin Marie-Louise vereint. Am 1. April folgt die pompöse Trauung im Louvre.
Die zuvor feindselige Braut soll angesichts der überwältigenden Feier emotional in die Knie gegangen sein. Das Hochzeitsfest ist ihre erste Begegnung mit Napoleon. Zuvor soll die junge Unschuld mit Nadeln auf eine nach Napoleon benannte Puppe eingestochen und Bonaparte als Antichrist beschimpft haben.
Schließlich hat der Korse ihren Kaiserpapa im Feld besiegt und vom gesamteuropäischen Kaiser Franz II. zum Kaiser von Österreich degradiert.
Ob nun vom strahlenden Napoleon tatsächlich überwältigt oder nicht – Marie-Louise hatte in Heiratsfragen wie immer kein Mitspracherecht. Schon während der Eheanbahnung bemerkt der österreichische Gesandte Metternich treffend: »Kann man zwischen dem Untergang einer ganzen Monarchie und dem persönlichen Unglück einer Prinzessin wählen?« Non, hätte Napoleon geantwortet, und sein neuer Schwiegervater hätte kräftig genickt.
Genutzt hat dem Korsen die Heirat bekanntlich trotzdem nichts. Kaiser Napoleon stirbt auf dem sturmumtosten Eiland St. Helena als abgesetzter Möchtegernimperator. Als großer Monarch fühlt er sich bis zuletzt.
Und sein weltweiter Nachruhm sorgt dafür, dass man noch heute nur eine Hand in die Jacke stecken und einen lustigen zweispitzigen Hut aufsetzen muss, um von Japan bis in die Karibik einen Schrei des Wiedererkennens auszulösen. »Ah, Napoleon!«
Darf man die Geschichte eines Geschichtsgiganten wie Napoleon derart verkürzen? Ausnahmsweise. Wovor man sich jedoch hüten sollte, ist die Legende, Napoleons Aufstieg verdanke sich einem Komplex, weil der Korse körperlich zu kurz geraten war.
Le petit corporal – ein Spitzname, den seine Soldaten ihrem Befehlshaber wegen seiner Karriere von ganz unten verliehen – war nicht zwergenwüchsig, sondern mittelgroß. Nämlich um die 1,70 Meter.
Noch bedenklicher sind die bereits erwähnten Erklärungvarianten, Napoleon sei machthungrig gewesen, weil er nur einen Hoden besessen habe und weil sein hervorstechendstes Geschlechtsmerkmal mikroskopisch klein ausgefallen sei.
Viele dieser Legenden entstammen den Hirnen bürgerlicher Kleingeister des 19. Jahrhunderts, die derartige Enthüllungen inzwischen wohl eher sexuell als politisch erregend finden.
Auch ernsthaft interessierte Forscher waren damals nicht davor gefeit, Missverständnisse als gesichertes Wissen über die »Unmenschlichkeit« royalen Sexuallebens auszugeben. So legen sie im 19. Jahrhundert sämtlichen Kreuzfahrergattinnen des 12. Jahrhunderts einen Keuschheitsgürtel an. Unter Historikern gilt anno 1900 als gesichert: Der Gürtel schützt hochadlige Damen vor Unkeuschheit und Vergewaltigung während der Abwesenheit ihrer edlen Ritter und dient der Empfängnisverhütung. Klingt ja erst mal auch logisch; schließlich kann kein König sich ein
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