Sex and Crime auf Königsthronen
Heinrichs Lateinkenntnisse, seinen Briefstil und – man höre und staune – seine Sanftmut. Er findet den Tudor-Sprössling lediglich ein wenig zu schüchtern.
Heinrich bringt auch Englands Philosophen und Bücherfreunde ins Schwärmen. William Blount, ein adliger Kumpan von Heinrichs Lehrer Skelton, jubelt in einem Brief an Erasmus: »Die Habgier hat das Land verlassen. Unser König sucht nicht Gold und Edelsteine, sondern Tugend, Ruhm und Unsterblichkeit.«
Der heute noch berühmte Denker, Dichter und heiliggesprochene Staatsmann Thomas Morus feiert den frisch Gekrönten als neuen Messias und sieht ihn frei von jeder egoistischen Gier.
So können sich selbst Meisterdenker täuschen – vor allem was Gold und Juwelen angeht. Nach beidem ist Heinrich früh süchtig, und anders als sein Vater schätzt er Pretiosen nicht, weil sie wertbeständig sind und man sie im Falle eines Aufstandes gut mitnehmen kann, sondern um damit zu prahlen.
In Botschafterbriefen ist von walnussgroßen Diamanten und hühnereigroßen Perlen die Rede, die von Heinrichs Mützen, Wämsern, Puffhosen und Mänteln herabbaumeln. Man hört förmlich, wie die Berichterstatter zwischen Neid und Ehrfurcht schwankend Luft holen müssen. Die Vorliebe aller Tudors nach Heinrich für klunkerartigen, echten Schmuck sollte legendär werden. Suchen Sie im Lexikon oder bei Google an dieser Stelle mal ein Porträt von Elisabeth I., dann wissen Sie, wie viel Perlen, Diamanten und Glitter auf einem einzigen Menschen Platz finden können.
Heinrichs frühe Vorliebe für perlenüberladene Wämser, für Juwelen und Ringe, verdankt sich nicht nur übertriebener Eitelkeit, sondern ist auch Kalkül und Politik. Der Urenkel des walisischen Gewandmeisters Owen weiß, dass Macht im Wesentlichen auch eine Folge des Auftretens ist. Die Ausübung paramilitärischer Sportarten vom Turnier bis zur Fuchsjagd gehört genauso dazu wie größtmögliche Prunkentfaltung am eigenen Leib. Heinrichs Motto lautet: »Willst du ein König sein, dann benimm dich wie einer.« Er trägt die Maske der Royalität perfekt bis zur Übertreibung.
Doch bleiben wir gerecht und beim Thema Bildung. Auch mit Perlen der Gelehrsamkeit schmückt der gut unterrichtete Thronerbe sich gern.
Gleichgültig, auf welchem Gebiet, nichts ist dem jungen Heinrich wichtiger als die Suche nach Ruhm und Unsterblichkeit. In diesem Punkt liegen die Gelehrten in ihren Lobpreisungen also richtig und tragen mit ihrer Korrespondenz an Kollegen aus Dichtung und Wissenschaft früh zu beidem bei.
Die Briefe von Erasmus & Co. sind keine Privatangelegenheit, sondern eine Art Feuilletonersatz, der gedruckt und europaweit gelesen wird. Das wissen die Gelehrten, das weiß auch Heinrich. Der Schriftverkehr der Intellektuellen ist (unter anderem) ein Geschäft, so wie es die Lob-, Abenteuer- und Minnegesänge der Troubadoure des Mittelalters waren. Die Druckerpresse ersetzt die weit langsamere Mund-zu-Mund-Propaganda.
Unter dem jungen Heinrich heimsen gelehrte Fürstenschmeichler fürstliche Honorare, Hof- und Universitätspöstchen ein. Der frisch Gekrönte schätzt die Imagekampagne für seinen Hof, an dem es mehr »Gelehrte als an irgendeiner Universität« geben soll.
Umgeben von feindlichen Adelsfraktionen sucht der junge König außerdem echte Freundschaft bei den Gelehrten. Der eben erwähnte Thomas Morus ist im Rückblick einer der merkwürdigsten und tragischsten Kandidaten für die von Herzen kommende Gunst des Königs.
Gefährliche Freundschaften
Morus, der dem jungen Heinrich mehr Interesse an den Schätzen der Gelehrsamkeit als an Luxus und Verschwendung zuschreibt, ist als Autor von »Utopia«, erschienen 1516, berühmt geworden und geblieben. In dem philosophischen Roman entwickelt er seine (zeitlosen) Träume von einem idealen Staat, eben Utopia. Unter anderem schwebt dem Autor Besitzlosigkeit und der regelmäßige Tausch von Behausungen vor, auf dass kein Bürger lebenslang Palastbewohner beziehungsweise Hüttenmieter sei. Edelsteine und Gold sind in so einer Welt dekorativer Schnickschnack, Geld ist unbekannt.
Der Titel des Werks gab allen folgenden Utopien ihren Namen, und die haben bekanntlich wenig mit der Wirklichkeit, aber viel mit Hoffnung zu tun.
Der junge Heinrich VIII. liebt es, mit Morus die Bibel auszulegen und bei Vollmond auf das Dach von Greenwich Palace zu steigen, um die Welt der Sterne zu erforschen. Astronom will der Jüngling nämlich auch sein und bestellt auf Kosten des
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