Sex and Crime auf Königsthronen
Rex.
Es hat also alles seine Ordnung, wenn der neue Hauptdarsteller der Tudors trotz Trauerfall in vergoldeter Prunkrüstung von Richmond nach London reitet. Fanfarenklänge, ein Fahnenmeer, Höflinge hoch zu Ross und Kirchenfürsten begleiten ihn. Der improvisierte Hauptstadtbesuch ist ein Ersatz für Eilmeldungen, TV -Sondersendungen und Hochglanzreportagen. The show must go on , bevor irgendein Yorkist aus dem Loch kriecht. Das Ganze wird Heinrichs erster von vielen PR -Triumphen.
Unter den Bürgern der City macht sich statt Trauer um den eben verblichenen Vater eine hysterische Jubelstimmung breit, als unerwartet der Prinz auf der London Bridge erscheint. Beim Blute Christi – wie man damals zu sagen pflegt –, dieser Heinrich ist fast zu schön, um wahr zu sein! Auf einem braunen Schlachtross, das mit prachtvoller Schabracke behängt ist, sitzt ein Hüne von fast einem Meter neunzig. Der golden blinkende Harnisch umspannt eine muskulöse Brust, unter dem Helm schimmert schulterlanges rotgoldenes Haar. Das glatt rasierte Prinzengesicht kann mit modisch weißem Teint punkten und ist nicht von den üblichen Pockennarben zerfressen.
Heinrichs Untertanen sehen in ihrem neuen König schon rein optisch einen kommenden Gott. Ein Funke springt über. Heinrich ist berauscht von seiner Rolle, und er berauscht sein Volk.
Während sich die Prinzen-Kavalkade durch die Gassen der City und durch die Menge zwängt, werden spontan Blütengirlanden zwischen den Häusern aufgespannt, hängen reiche Kaufleute ihre Gobelins zum Fenster hinaus. Abends herrscht allgemeine Partystimmung. Freudenfeuer werden entzündet. Der Ratswein, den die Bürgermeister eilends in den Brunnen der City hochpumpen lassen, wird reichlich genossen. Man tanzt, feiert, und man diskutiert die für Juni angesetzte Krönungsprozession vom Tower zur Westminster Abbey. Das wird erst ein Fest! Philosophen kritzeln nach dem Überraschungsauftritt überwältigt Preisgedichte über den »neuen Messias auf dem Thron«.
William Blount, ein adliger Freund von Heinrichs erstem Lehrer Skelton, gibt die Stimmung so wieder: »Der Himmel lacht, und die Erde freut sich; alles ist voller Milch, Honig und Nektar.«
Der Teenager wird gefeiert wie ein Märchenprinz und mit Vorschusslorbeeren bekränzt, noch bevor er die Krone auf dem Kopf und auch nur eine einzige Urkunde gesiegelt hat. Sind alle betrunken, liegt es an Heinrichs blendender Erscheinung?
Das auch, aber der Siebzehnjährige verdankt seinen Spontantriumph vor allem der Tatsache, dass sein Vater während seiner Herrschaft zum Hassobjekt Nummer eins aufgestiegen ist. Jetzt, so hofft man, kommt endlich ein ritterlicher und so tugendsamer wie hübscher König an die Macht. Und Heinrich tut alles, um dem noch unverdienten Ruf gerecht zu werden.
Mal aus blankem Kalkül, mal den spontanen Eingebungen seines romantischen Herzens und seiner von Ritterromanen geprägten Fantasie folgend. Meist handelt er aus einer ureigenen Mischung von allem heraus. Eins ist er von Anfang an: ein PR -König und Meister der Selbstvermarktung.
Popstar der Renaissance
Für den Durchschnitts-Londoner und für die Hofbesucher ist der Thronerbe bald ein Sport- und Popstar im Stile der Renaissance, eine Art Mischung aus Robbie Williams und David Beckham. Heinrich kann nicht nur singen – im modischen Fisteltenor und begleitet von einer eigenen Hofband –, er ist tatsächlich auch der erste königliche Fußballspieler der Geschichte. Adlige Zeitgenossen kritisieren den kickenden König zunächst, weil er dem Volkssport frönt, aber bald sieht man immer mehr junge Höflinge in Londons Palastgärten den Ball treten. Ein Volltreffer in Sachen Popularität für den Tudor. Auch das Tennisspiel wird dank Henry beliebt; daneben betreibt er Bowling, ist ein passionierter Boxer und Ringkämpfer.
Am liebsten tut sich der Superstar in den traditionellen ritterlichen Extremsportarten hervor, die ihm so lange untersagt waren. Auch wenn die Zeit der dick gepanzerten Schwerthelden eigentlich abgelaufen ist und auf dem Schlachtfeld Kanonen, Luntenrohre und leicht gerüstete Landsknechte über den Sieg entscheiden, weiß er, was sich für einen Monarchen schickt. Und er will der Größte von allen sein.
Die angestaubte Inszenierung als Ritterkönig ist außerdem ein Akt von Teenager-Rebellion gegen die Vorsichtsmaßnahmen des toten Papas. Nach der Krönung reitet Heinrich zunächst maskiert und anonym in Turniere. Er zersplittert Lanzen, führt den
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