Sex and Crime auf Königsthronen
Kronvermögens teuerste Instrumente. Die ungleichen Freunde haben auch Gefallen an den schönen Künsten. Morus pflegt die christliche Hausmusik, schreibt philosophische Poeme; Heinrich lebt seine lyrische Seite in Liebesreimen, aber noch lieber in Unterhaltungsmusik aus.
Die Kombination König und Gelehrter scheint also ein harmonisches Erfolgsmodell zu sein. Thomas Morus, der lieber Mönch und Poet als Politiker geworden wäre, ist dabei eine rühmliche Ausnahme unter vielen Schmeichlern. Ihm ist es weniger um Pöstchen zu tun als um die Anleitung Heinrichs zu einer vernünftigen, gottes- und papstfürchtigen Herrschaft. Er lobt nicht nur, er tadelt auch.
Legen wir an dieser Stelle eine Gedenkminute ein zu Ehren des großen Utopisten Morus. Er hat sie redlich verdient, weil die Freundschaft zwischen dem Nachwuchskönig und dem Philosophen in eine Katastrophe münden wird. Und das lehrt nicht nur Zeitgenossen, dass die Freundschaft von Mächtigen zu fürchten oder zumindest mit Vorsicht zu genießen ist.
Zwar wird Morus ab 1517 eine Hofkarriere antreten, er wird zum Ritter geschlagen und – ziemlich widerwillig – Mitglied des königlichen Kompetenzteams (Kronrat), später sogar Lordkanzler, aber dem Philosophen schwant früh, dass Gunst und Zuneigung von Heinrich ihren Preis haben. Ihn soll sie – wie wir sehen werden – den Kopf kosten.
Privat vergleicht Morus bereits den Teenager-König mit einem Raubtier und prophezeit, »wenn der junge Löwe seine wahre Stärke kennt, kann ihn niemand mehr bändigen«. Der literarische Utopist hegt also in Sachen Wirklichkeit keine allzu großen Illusionen – gerade das macht ihn so liebenswert und so tragisch.
Aber noch träumt er, noch träumen Gelehrte, Künstler, Volk und England, noch träumt selbst der Thronerbe von einer gerechten, verdienstvollen, ruhm- und erfolgreichen Herrschaft. Am schnellsten erwachen aus diesem Traum Papa Tudors alte Groschenzähler und Finanzexperten.
Genial kalkulierte Grausamkeiten
Heinrich hat auch seine Geschichtsstudien, speziell über Könige, mit Erfolg absolviert. Die Nachkriegskindheit steckt ihm noch in den Knochen. Darum setzt er neben gepflegter Lektüre früh auf eine altbewährte Königsdisziplin: schwungvoller Einsatz des Henkerbeils.
Nur zwei Tage nach dem Tod des Vaters erlässt er seine ersten Verhaftungsbefehle. Unter dem allgemeinen Jubel der Untertanen und von finanziell drangsalierten Aristokraten werden am 23. April 1509 die verhassten Steuereintreiber Richard Empson und Edmund Dudley eingekerkert. Sechzehn Monate später lässt Heinrich die Finanzbeamten unter fadenscheinigen Gründen köpfen. Es ist sein erster Mord in einer Serie von Justizmorden. Die Hinrichtung von Papas Groschengräbern ist eine gelungene PR -Kampagne für ihn und eine Kampagne gegen seinen verhassten Vater. Der Akt kalkulierter Grausamkeit lässt Heinrichs Beliebtheit beim Volk und auch bei feindlichen Yorkisten ins Grenzenlose wachsen.
Unfreiwillig beweist Heinrich mit den Justizmorden aber auch, dass die Staatsgeschäftsstunden in des Vaters Kabinetten nicht umsonst waren. Heinrich VII. zog die Steuerschraube mit Hilfe von Gesetzen an. Heinrich VIII. wird peinlich darauf achten, dass seine Daumenschrauben unter dem Anschein von Gesetzestreue angewendet werden. Ich schreibe das ungern, aber in Sachen Machtkalkül ist Heinrich der Achte der Mozart seiner Zeit – ein Wunderkind eben.
Man könnte meinen, der frisch gebackene König habe neben Odysseus, Lautenspiel und Minnesang auch Niccolo Machiavelli studiert. Dessen berüchtigte Arbeitsanleitung für erfolgreiche Renaissance-Herrscher, »Der Fürst«, erscheint aber erst ein paar Jahre später.
Dem Inhalt greift der neue Tudor instinktsicher vor. Bei Machiavelli heißt es: »Ein Herrscher darf sich also um den Vorwurf der Grausamkeit nicht kümmern, wenn er dadurch seine Untertanen in Einigkeit und Ergebenheit halten kann. Statuiert er nämlich einige wenige abschreckende Beispiele, so ist er barmherziger als diejenigen, die infolge allzu großer Milde Unordnung einreißen lassen, aus der Mord und Plünderung entstehen.«
Der Turnierfan Heinrich, der sich mit dem mythischen König Artus vergleichen lässt und musikalisch alte Troubadoure imitiert, verhält sich in Sachen Machtpolitik äußerst »modern« – im damaligen Sinne. Er beweist ein hochsensibles Gespür für den Zeitgeist und befriedigt zugleich rückwärtsgewandte Sehnsüchte. Auch deshalb darf man Heinrich VIII. als
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