Sex and Crime auf Königsthronen
besiegeln mehrere Schicksalsschläge Annes Niedergang. Das Jahr 1536 soll ihr und Heinrichs annus horribilis werden.
Turnierunfall, Totgeburt und Todesurteile – ein Tyrann wird geboren
Zunächst stirbt Anfang Januar die ins nördliche Sumpfland verbannte Königin Katharina an Krebs. Damit ist Heinrichs erste Ehe endgültig und zweifelsfrei aus der Welt und Vergangenheit. Als Legende lebt die Königin jedoch noch lange weiter, und dafür gibt es viele Gründe.
Bei einer Obduktion wird das Herz Katharinas entnommen. Es ist vollkommen schwarz, wie der Arzt notiert. Seine Diagnose: Liebeskummer hat es zerfressen. Heute tippt man auf eine seltene Form von Herzkrebs, aber auch der könnte tatsächlich seelische Ursachen gehabt haben.
Katharina hinterlässt ihrem treulosen Gatten nämlich einen der ergreifendsten Abschiedsbriefe der Weltgeschichte:
Mein teuerster Herr, König und Gemahl, da die Stunde meines Todes naht, kann ich, aus der Liebe, die ich für Euch empfinde, nicht anders, als Euch zu bitten, an das Heil Eurer Seele zu denken, welchem Ihr vor allen weltlichen Überlegungen und den Dingen des Fleisches den Vorzug geben solltet, um derentwillen Ihr mich in manches Ungemach und Ihr Euch selbst in viele Verdrießlichkeiten gestürzt habt.
Doch ich vergebe Euch alles und bitte Gott, das Gleiche zu tun. Im Übrigen empfehle ich Euch Maria, unsere Tochter, und bitte Euch, ihr ein guter Vater sein zu wollen, wie ich es immer gewünscht habe …
Endlich spreche ich diesen Wunsch aus, dass meine Augen Euch über alles zu sehen wünschen. Lebt wohl.
Gezeichnet, Katharina, Königin (!). So hat die Spanierin ihr Leben lang unterschrieben. Nicht nur Anne Boleyn besitzt also die weibliche Tugend der Hartnäckigkeit.
Der kaiserliche Gesandte in England streut nach ihrem Tod das Gerücht, die Spanierin sei mit walisischem Bier vergiftet worden. Spanien verlegt sich von nun an auf finsterste Anti-Tudor-Propaganda; den Katholiken missfällt der aufkeimende Protestantismus auf der Insel erheblich. Staatssekretär Thomas Cromwell befürchtet nun ernsthafte Schwierigkeiten mit Kaiser Karl V. und mit den eigenen Untertanen, denen Katharinas Frömmigkeit ein Vorbild ist.
Der König zeigt derweil einmal mehr eine eigenwillige Form der Trauerarbeit. Während Queen Anne kurz nach dem Eintreffen der Todesnachricht ein Fest feiert, zieht er sich still in seine Gemächer zurück und gönnt sich eine Runde Krokodilstränen. Nun, seien wir gnädig, vielleicht hat er sich wirklich reuig an die ersten Tage seiner großen Liebe zu Katharina erinnert. Mit der Königin ist ein Teil seiner Jugend gestorben. Anne erscheint ihm zu dieser Zeit längst kein guter Tausch mehr zu sein. Die Boleyn muss ihrem eher protestantischen Gott danken, dass sie schwanger ist.
Mitte Januar hat Heinrich sich vom Kummer wieder erholt. Dafür prallt er bei einem Turnier so heftig mit einem Gegner zusammen, dass beide stürzen, unter ihren Schlachtrössern begraben werden und der König für zwei Stunden ins Koma fällt.
Kaum daraus erwacht erfährt er, dass seine derzeitige Frau bei der Überbringung der Unglücksnachricht herzlich gelacht habe. Man wird das als hysterischen Anfall werten dürfen, denn ohne König stünde die Boleyn machtlos dar. Trotzdem: Heinrich hat es nicht gern, wenn Frauen über ihn lachen, statt sich um seinetwillen die Augen auszuweinen oder Herzkrebs zu entwickeln.
In Folge des Unfalls verschlechtert sich sein Gesundheitszustand. Einige Historiker glauben sogar, dass die Schädelwunde, die er sich beim Sturz zugezogen hat, eine Persönlichkeitsänderung nach sich gezogen hat und dass während des zweistündigen Komas einige Hirnregionen abgestorben sind. Diagnose: Unfalltrauma mit nachfolgenden Wahnattacken. Eine gewagte und wenig fundierte These.
Bewiesen ist: Heinrich trägt als unschöne Erinnerung lebenslang wiederkehrende Kopfschmerzen davon. Und: Seine bemerkenswerten Waden sind für immer lädiert. Eine Beinwunde wird zum Geschwür, das nie mehr abheilen wird.
Der Superathlet muss von nun an auf die meisten sportlichen Betätigungen verzichten. In jedem Fall auf seine Lieblingsdisziplin: Turnierkämpfe. Der Mann, von dem es heißt, er habe in jungen Jahren in voller Rüstung auf sein Schlachtross springen können, beginnt seine neue Karriere als bewegungsscheuer Vielfraß.
Riesige Fleischmahlzeiten, Wein und Bier beginnen ihn aufzuschwemmen. So gut wie alle Gerichte – ja auch die Braten – sind stark gezuckert;
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