Sex and Crime auf Königsthronen
Prozesszeugen und Cromwells Spitzel – ab.
Zeitgleich verhandelt er mit Spaniens Botschafter über eine eventuelle Neuvermählung Heinrichs mit einer spanischen Prinzessin. Hintergrund: Er will Karl V. familiär an die Tudors binden, damit der Kaiser England freie Hand in Sachen Reformation lässt. Der spanische Botschafter beschreibt Cromwells Doppelspiel als schauspielerische Meisterleistung. Englands Staatssekretär betont mit sehr ernstem Gesicht, Heinrich trenne sich von der schamlosen Ehebrecherin Anne, weil sein keusches Herz tief verletzt sei, man wisse ja, welch treues Herz in seiner Brust schlage. »Dabei musste er sich die Hand vor den Mund halten, um nicht zu lachen«, notiert der Spanier, dem es ähnlich geht. Beide wissen, dass der Prozess gegen die Boleyn ein abgefeimtes Betrugsmanöver war. Denn, so der Spanier süffisant: »Noch nie hat ein König und betrogener Ehemann derart gelassen und begierig seine Hörner der gesamten Öffentlichkeit vorgeführt.«
Annes Hinrichtung wird auf den 19. Mai 1536 festgelegt. Bis zuletzt weiß sie nicht, ob Heinrich sie als Hochverräterin verbrennen oder mit dem Beil köpfen lassen wird. Die letztere Variante wäre ihr lieber; der Flammentod ist die übliche Strafe für weiblichen Hochverrat und die qualvollere Todesart.
Vage hofft sie sogar noch, dass sie begnadigt und in ein Kloster geschickt wird.
Erst ein paar Hinrichtungen, dann eine Hochzeit
Heinrichs elastisches Gewissen nimmt den offensichtlichen Mordbefehl per Gesetz als gerechte Strafe für Anne – seine Königin für tausend Tage – hin. Der Monarch glaubt inzwischen felsenfest, dass sie ihm untreu war, und bemitleidet sich aufrichtig dafür, dass er einige seiner besten Freunde aufs Schafott schicken muss, weil die böse schwarze Nan sie verführt hat. Und Thomas Morus, der Gute, geht er nicht auch auf ihr Schuldkonto? Selbst Wolsey war doch allein ihr Opfer, oder?
Immerhin – vielleicht ist es eine letzte Anwandlung sentimentaler Erinnerung – bestellt der Tudor einen französischen Scharfrichter für die Hinrichtung der ehemaligen französischen Hofdame. Der Henker von Calais gilt als Meister seines Faches, der sein Handwerk fleißig mit Melonen und Schweinsköpfen trainiert.
Vorher sind jedoch fünf vorgebliche Geliebte Annes an der Reihe. Mark Smeaton, der kleine Lautenspieler muss auf dem Hügel vor dem Tower sein Leben lassen. Immerhin wird ihm zum Dank für seine verräterischen Aussagen die Tortur des Vierteilens erspart. Er wird mit dem Beil geköpft. Genau wie die Mitglieder der Adelsfraktion, die aber standesgemäß im Hof des Tower und unter dem Towerfenster Annes hingerichtet werden.
Erstaunlicherweise hält ihr Bruder George Boleyn eine letzte Rede, in der er sich zwar nicht als Blutschänder bezichtigt, aber von einer gerechten Strafe wegen seiner schweren Ausschweifungen und Sünden spricht. Dann bedankt er sich ordnungsgemäß bei seinem gerechten Monarchen, so ist es Tradition.
Die englische Tudor-Expertin Alison Weir mutmaßt, dass George und einige seiner Mitangeklagten Diener der verkehrten Venus, also homosexuell, waren. Ein Schwerverbrechen und damals in der Tat eine Todsünde. Nur so, glaubt Alison Weir, lässt sich erklären, warum George von seinen Sünden spricht und warum seine eigene Frau als eine Hauptzeugin gegen ihn und Anne im Hochverratprozess ausgesagt hat. Wir werden dieser notorisch bösartigen Boleyn-Gattin namens Jane Parker, verheiratete Lady Rochford, noch einmal begegnen, und zwar wiederum als Hauptzeugin in einem von Heinrichs Scheidungsprozessen.
Zwei Tage nach ihrem Bruder muss Anne ihren letzten Weg über das Towergreen antreten. In den Nächten zuvor hat sie demonstrativ die Messe gehört und gebeichtet. Nämlich, dass sie nichts zu beichten hat. Sie weiß, dass dem König jedes einzelne Wort weitergetragen wird. Bis zuletzt hat sie, wenn schon nicht auf einen Anflug von Herzensmilde, so wenigstens auf einen Anflug von Gewissensbissen beim König gehofft.
Tower-Chef Kingston verdanken wir einen minutiösen (Spitzel-)Bericht über Queen Annes letzte Tage. Er beschreibt die Todeskandidatin als zunächst sehr hysterisch; mal lacht, mal weint die Verurteilte in ihren Gemächern, die weit weniger prachtvoll sind als der Towerflügel, den Heinrich ihr als Krönungsgeschenk gebaut hat.
Man muss keine Séance veranstalten, um sich auszumalen, wie sich die große Liebe Heinrichs, the most happi of wifes , als Gefangene des Towers gefühlt haben
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