Sex and Crime auf Königsthronen
Gemüse gilt als Bauernfraß. Der König isst ungesünder als die meisten seiner Untertanen, die oft nur Bohnen, Erbsen, Roggenbrei und, wenn sie Glück haben, Brot zu sich nehmen. Heinrichs Essgewohnheiten gründen nicht nur auf Gier. Dekadenz dient der Imagepflege, doch sie führt zu einer schweren Diabetes. Was man damals nicht weiß.
Heinrich VIII. jedenfalls kann sein Unglück von 1536 nicht fassen. Tagelang muss der Bewegungsfanatiker das Bett hüten. In seinem angeschlagenen Kopf beginnt sich der Verdacht zu regen, Anne stecke hinter diesem Elend und habe es auf sein Leben abgesehen. Der sechste Fingernagel fällt ihm ein, das Erdbeermal.
Beunruhigend scheint ihm auch die Tatsache, dass sowohl sein illegitimer Sohn Henry Fitzroy als auch Mary im Januar schwerkrank daniederliegen. Ist Gift im Spiel? Will Anne ihre Tochter Elisabeth an allen anderen Tudors und an ihm vorbei auf den Thron bringen? Hat sie vielleicht sogar die arme, arme Katharina getötet?
Auch Annes Feinde sind nicht untätig und lancieren Gerüchte, die Königin habe mit Heinrichs erstem Kammerherrn schon über dessen Tod und ihre Neuvermählung gescherzt.
Was Heinrich einst betört hat, stößt ihn zunehmend ab: Annes loses Mundwerk, ihre geistige Unabhängigkeit und ihre Freude am galanten Flirt.
Die wichtigste Lebensversicherung der Königin ist ihre Schwangerschaft, doch diese endet am 29. Januar mit einer Fehlgeburt. Tragischerweise verliert sie einen Sohn, der sie nun nicht mehr retten kann. Heinrich grummelt vernehmlich, er sehe, dass Gott ihm auch diesmal keine Söhne schenken wolle. Ein Warnschuss der übelsten Sorte in Richtung der 34-Jährigen.
Heinrich gibt sich zwar leutselig, sucht aber bereits Trost beim Hoffräulein Jane Seymour, die blond, leicht schafsgesichtig und in Demut geschult ist. Zumindest darin, den Eindruck derselben zu erwecken. Gepusht und mit Verhaltenstipps versehen wird sie von der eigenen Familie und von mächtigen Höflingen, die die Boleyn-Clique und die Howard-Sippe entmachten wollen.
Als Heinrich der neuen Flamme seine Liebe gestehen und ein Geldgeschenk überbringen lässt, dankt sie errötend für die Gefühle und weist den Münzbeutel zurück. Gelernt ist gelernt – von Anne Boleyn. Heinrich glaubt: Das muss Liebe sein. Einige Biografen nehmen an, der König habe das Ganze als Test inszeniert. An Janes aufrichtiges Herz glaubt er fest. Sein Hang zu emotionalem Selbstbetrug wird zunehmend manifester. Genau wie seine Absicht, sich von Anne zu befreien. Eine zweite Scheidung wäre leider allzu lächerlich. Darum muss die Trennung diesmal nicht im Namen Gottes, sondern im Namen des Teufels geschehen, empfiehlt Thomas Cromwell.
Heinrichs neuer Mann fürs Grobe ist der Mastermind hinter Annes Sturz. Der Staatssekretär und Wolsey-Schüler ist zwar Freund einer Glaubensreform und eine Weile sogar Förderer der ebenfalls reformfreundlichen Anne gewesen, aber jetzt will er eine neue Königin für Heinrich. Eine, die auch den Spaniern gefällt, denn eine Annäherung an die Weltmacht unter Karl V. scheint ihm sinnvoll. Es gibt auch persönliche Motive, sich Annes zu entledigen. Die hochmütige Queen hat den Sohn eines Schmieds oft übersehen und ihm eines Tages in einem Wutausbruch selbst mit dem Henkerbeil gedroht.
Kaum drei Monate brauchen Cromwell und verschiedene höfische Intriganten, um gegen Anne eine Anklage zu konstruieren, die Heinrich von ihr und von allen Restbeständen seiner großen Passion befreien werden. Mit einer Mischung aus Porno und Paranoia rückt man Heinrichs zweiter Queen zuleibe.
Inzest und Impotenz
Am 2. Mai 1536 wird Anne Boleyn in Greenwich Palace verhaftet und in den Tower geführt. Man wirft ihr Ehebruch mit fünf Männern – unter anderem mit dem eigenen Bruder – vor. Sie soll Sex mit Heinrichs besten Freunden, Dienern und mit Musikern gehabt haben, mal zwischen zwei Sätzen Tennis, dann während der Sommerreise des Hofes und häufig sogar an Orten, an denen sie sich nachweislich gar nicht aufgehalten hat. Die Liste ist so endlos wie fantastisch.
Außerdem soll die Queen die Ermordung des Königs geplant haben. Alle ihre Mitangeklagten bestreiten die windigen Vorwürfe – bis auf einen gewissen Mark Smeaton.
Er ist das dringend benötigte Bauernopfer für die konstruierte Anzeige. Alle anderen Beklagten gehören dem Hochadel an und dürfen daher nicht gefoltert werden. Der bildhübsche Lautenspieler stammt aus einfachen Verhältnissen und gesteht dank Eisenknebel
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