Sex and Crime auf Königsthronen
muss, dem Ort ihres größten Triumphes und ihrer tödlichen Niederlage.
Kurz vor Schluss findet die hartnäckige Anne die Fassung wieder, scherzt sogar mit Kingston über den Henker von Calais. »Es heißt, er soll sehr gut sein, und ich habe nur einen kleinen Hals.«
Am Tag der Hinrichtung steht sie um zwei Uhr morgens auf. Sie empfängt noch einmal die Heilige Kommunion und beschwört im Angesicht des Allerheiligsten zwei Mal, dass sie unschuldig sei, damit dies auch ja in die Geschichte eingeht. Was hiermit noch einmal geschehen soll.
Um sechs Uhr morgens wählt sie die Garderobe für ihren letzten Auftritt. Es soll ein königlicher Abschied werden, auch wenn sie den Titel Queen nicht mehr tragen darf. Anne entscheidet sich für ein taubengraues Gewand, einen burgunderroten Mantel und einen Hermelinkragen, der nur Royals gestattet ist. Statt eines frivolen französischen Häubchens wählt sie eine strenge englische Giebelhaube.
Kingston notiert später, dass er viele Todeskandidaten in Sorge und Angst erlebt habe, Anne hingegen sei mit Freude und Fröhlichkeit an ihre Vorbereitungen gegangen. Wir erkennen eine große Schauspielerin.
Entsprechend zahlreich ist das wartende Publikum, rund tausend Zuschauer versammeln sich ab sieben Uhr im Tower-Hof. Acht Uhr ist der damals übliche Hinrichtungstermin. Doch Anne und die Gaffer müssen warten. Der Henker Jean Rombaud verspätet sich bei der Anreise von Dover, weil auf dem Kanal Gegenwind geherrscht hat. Erst als der Bell Tower ein Uhr Mittag schlägt, beginnt das Spektakel.
Anne verlässt ihr kleines Gemach, muss vorbei an dem Festsaal, in dem ihre Krönung gefeiert wurde, passiert die Kapelle, in der ihr zwei Tage zuvor hingerichteter Bruder bestattet ist, dem sie bald folgen wird. Das Schafott erwartet sie im öffentlichen Teil der Festung. Es ist mit schwarzem Stoff verhängt und dick mit Stroh ausgelegt, damit ihr Blut aufgesaugt wird.
Augenzeugen berichten, Anne habe erschöpft ausgesehen und – ja – erstaunt. Sie geht durch einen Korridor aus Menschen, sieht vertraute Gesichter; die meisten gehören ihren Feinden. Cromwell ist da und Heinrichs 16-jähriger Bastardsohn Henry Fitzroy, der Duke von Richmond, dem sie angeblich Gift verabreicht hat. Vom Fenster einer Zelle aus schaut Thomas Wyatt, der Hofdichter und einer ihrer tatsächlichen, frühen Verehrer zu. Seltsamerweise ist er nur zu Tower-Haft und nicht zum Tod verurteilt worden.
Anne Boleyns vier Tower-Hofdamen, allesamt Spitzel und nicht sehr freundlich zu ihr während der Haft, geleiten sie die Treppen zum Schafott hinauf.
Anne legt die Hände auf die Holzbalustrade und hält die traditionelle letzte Ansprache an die Menge. Was sie sagt, ist bemerkenswert:
Gute christliche Leute, ich bin nicht hierhergekommen, um zu predigen. Ich bin hierhergekommen, um zu sterben, denn gemäß dem Gesetz und durch das Gesetz wurde ich verurteilt zu sterben, und daher werde ich nicht dagegensprechen.
Das ist nicht das traditionelle Schuldeingeständnis, aber auch kein Angriff auf den König. Schließlich muss Anne an ihre Familie und an das Schicksal ihrer Tochter Elisabeth denken, die jetzt nicht mehr Prinzessin ist, sondern ein Bastard. Und darum dankt sie dem König nicht einfach pflichtgemäß, sondern lobt Heinrich, dass ihm die Ohren geklingelt haben müssen:
Ich bin hierhergekommen weder, um einen Menschen anzuklagen noch irgendetwas darüber zu sagen, weshalb ich angeklagt und zum Tod verurteilt wurde. Aber ich bete: Gott schütze den König. Möge er noch lange über Euch herrschen. Denn einen sanftmütigeren und nachsichtigeren Fürsten als ihn gab es nie. Mir war er stets ein guter, freundlicher und gnädiger Herr. Und wenn irgendeine Person sich in meine Sache einmischt, so verlange ich von ihr, aufs Beste zu urteilen.
Und so nehme ich meinen Abschied von der Welt und von Euch allen, und ich wünsche mir herzlichst von Euch, für mich zu beten.
Ihre Hofdamen helfen ihr, das Pelzcape abzulegen. Anne Boleyns graues Kleid ist tief dekolletiert. Aus rein praktischen Gründen; der Scharfrichter soll auf keinerlei Widerstand treffen. Die Todgeweihte nimmt selbst ihre Giebelhaube ab, ihre Damen reichen ihr ein Stoffhäubchen, Anne stopft sorgfältig ihr Haar darunter, damit der Hals ganz freiliegt. Sie dankt ihren Ladies, die nun wenigstens den Anstand besitzen, gerührt zu sein und zu schluchzen.
Anne wendet sich an den Henker. Rambaud kniet ordnungsgemäß nieder und bittet um Verzeihung für
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