Sex and Crime auf Königsthronen
Behauptung gilt ein Testament, das die junge Frau wegen der unerklärlichen Krämpfe noch hastig verfasst und mit zittriger Hand unterschreibt. Hat irgendwer im Auftrag der Habsburger ihren Tod mit Arsen herbeigeführt?
Der Heimatforscher Eckhard Sander geht davon aus. Er hat den ungelösten historischen Kriminalfall in einem spannenden Buch (siehe Bibliografie) außerdem mit der Entstehung des Märchens Schneewittchen in Zusammenhang gebracht. Selbst die Vorbilder für die sieben Zwerge findet der Hobbyhistoriker in Margarethes hessischer Heimat. Dort wird nämlich zu ihren Lebzeiten Bergbau mit Kinderarbeit betrieben. Die Kinder müssen oft für mehrere Wochen in den Berg einfahren, um unter Tage Kupfererz abzubauen. Hernach kommen sie wie früh vergreiste, gebeugte Gnomen wieder ans Tageslicht.
Selbst die sieben Berge, hinter die das Grimm’sche Schneewittchen flieht, findet Sander auf der Landkarte: das Siebengebirge. Margarethe von Waldeck durchquert es als 16-Jährige auf ihrem Weg nach Brüssel. Und eine böse Stiefmutter hat das früh verstorbene und vielleicht ermordete Hoffräulein ebenfalls. Lediglich ein Happy End fehlt ihrer Lebensgeschichte. Ihr eilt kein Prinz zu Hilfe. Erst recht nicht der spanische Habsburger-Sohn.
Der muss zum Zeitpunkt ihres Todes nach England übersetzen, um die dortige Königin zu heiraten und damit Vaters Weltreich zu erweitern. Seine Braut ist Maria Tudor, die 37-jährige Tochter von Heinrich VIII. und Katharina von Aragon und damit Philipps Großtante. Sie ist elf Jahre älter, recht verhärmt, und Philipp spürt »kein fleischliches Verlangen«, wie ein Chronist vermerkt. Dafür haben beide ein gemeinsames Interesse: die Protestanten zu verfolgen.
Maria will England nämlich wieder katholisch machen. Daher schickt sie nach der Hochzeit in knapp drei Jahren 300 Ketzer auf den Scheiterhaufen, was Philipp gutgeheißen hat. Doch Liebe vermag Maria nicht in ihm zu entfachen. Philipp ist während der Ehe die meiste Zeit in den Niederlanden. Muss er in England weilen, tröstet er sich mit einer Bäckerstochter. Londons Bürger wissen Bescheid und reimen einen Gassenhauer auf die Liaison:
»Better the baker’s daughter in her russet gown than Queen Mary without her crown.« Übersetzt heißt das: »Lieber eine Bäckerstochter im groben Gewand als Königin Mary ohne Krone und Geschmeid.«
Für Königin Maria ist die Ehe privat und politisch eine Katastrophe. Sie liebt ihren Gatten und Großneffen abgöttisch, finanziert ihm sinnlose Kriege und durchleidet nacheinander zwei Scheinschwangerschaften. Immer hoffend, ihren Philipp zurückzugewinnen und obendrein einen Thronfolger zu bekommen. Lohn aller Liebesmüh: Maria Tudor stirbt nach nur drei Ehejahren und bekommt wegen ihrer Ketzerpolitik den Beinamen Bloody Mary (Blutige Maria). Die Engländer haben nach ihr – typisch britisch – den bekannten Tomatensaft-Wodka-Cocktail benannt, ansonsten gilt Maria Tudor ihnen eher als geschichtliche Unperson.
Schneewittchen Margarethe von Waldeck wäre mit Philipp von Spanien vermutlich kaum glücklicher geworden als sie. Happy Ends mit reichen Kronprinzen gehören eben überwiegend ins Land der Märchen.
Manierenkunde und Maskenspiele
Zurück zu Margarethes Heimatgenossen Wilhelm. Der Oranier riskiert seinen sozialen Aufstieg nicht für gefährliche Liebschaften bei Hof. Er studiert im Palast lieber offizielle Etikette. Und da ist er in Brüssel an der besten Adresse. Auch wenn das Hofklima hinter den Kulissen giftig ist, gilt das kaiserliche Palais in Benimmfragen als stilprägend für ganz Europa. Vergleichbar ist das Hofleben der Niederlande und Burgunds mit der Prachtentfaltung, die Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. im 17. Jahrhundert zu Europas Dernier Cri macht.
Schon 1524 hat Erasmus von Rotterdam ein Grundlagenwerk über Manieren verfasst, das zur Benimmbibel der Habsburger wird.
Nach diesem Lehrbuch ist am Kaiserhof zu Brüssel alles exakt geregelt: wie man die parfümierte Serviette beim Mahl über die Schulter wirft, dass man nur den kleinen Finger der rechten Hand ins Salzfass tunkt, um nachzuwürzen, und wie man ihn hernach fein abspreizt, wie und vor wem man sich verneigt, vor wem das Barett gezogen wird und so weiter. Aus den niederländisch-burgundischen Benimmregeln geht unter Kaiser Karl V. das spanische Hofzeremoniell hervor, das bekanntlich überaus streng war.
Wilhelm heimst bereits als 17-Jähriger als Turnierkämpfer und Tänzer bei einem Augsburger
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