Sex and Crime auf Königsthronen
Reichstag den Titel »Galantester Ritter« ein. Nachts ein notorischer Casanova, ist er tagsüber ein tadelloser Kavalier. Er kann sich an den mächtigsten Höfen Europas sehen lassen, und er kann beeindrucken. Vor allem die Damenwelt.
Der züchtig und streng gehaltenen Anna von Sachsen wird Wilhelm zehn Jahre später als Gottes Antwort auf ihre sehnsüchtigsten Gebete erscheinen. Kein Wunder, denn in Dresden, wo die künftige Braut heranwächst, hapert es in Sachen Etikette im Gegensatz zu Brüssel noch ein wenig. Kurfürst August, der Onkel der verwaisten Fürstentochter, muss 1554 eine Hofordnung erlassen, aus der hervorgeht, dass seine Gäste, Pagen und Höflinge noch Benimmprobleme haben.
Etwa in Sachen pünktliches Erscheinen bei Tisch und Respekt vor ihrem Landesherren. So werden die fürstlichen Tafelzeiten ausdrücklich festgeschrieben, und es wird vermerkt, man möge rechtzeitig erscheinen:
»Damit man einen jeden, wie bisher oft geschehen, nicht suchen oder auf ihn warten dürfte.« Das geht nun wirklich nicht. Der Fürst allein bei Tisch, während sein Mundschenk im Park die saumseligen Vasallen einsammelt.
Als ebenso ungebührlich werden Überpünktlichkeit und einfaches Zulangen bei Tisch abgelehnt:
»Es sollen auch unsere Kämmerer und Edelleute, die wir speisen (also verköstigen), nicht eher zu Tische sitzen, als bis wir uns zuvor gesetzt haben«, heißt es. Zu deutsch: Einfach hinsetzen und Essen fassen gilt nicht mehr. Oder: Eine Mahlzeit bei Hof ist kein Snack für zwischendurch, auch wenn der kleine Hunger vor den offiziellen Tischzeiten einsetzt.
Anders als an den Höfen, die der junge Wilhelm in den Niederlanden kennenlernt, geht es in Anna von Sachsens Heimat also benimmtechnisch noch ein wenig drunter und drüber. Dafür wird streng auf lutherische Tischgebete – die Anna wie alle Hofdamen stehend vor dem Fürsten vortragen muss – und weibliche Züchtigkeit geachtet.
Der reguläre Hofstaat summiert sich in Dresden auf etwa 40 bis 60 Personen. Im kaiserlichen Palast zu Brüssel kommen täglich zwischen 150 und 250 Adlige aus aller Herren Länder zusammen, Gäste nicht mitgerechnet. Der kurfürstliche Hof zu Dresden wirkt – trotz erster Prachtentfaltung – im Gegensatz zum kosmopolitischen kaiserlichen Hofleben der Niederlande bieder.
Kleiner Blick in die Zukunft: Als Ehefrau wird Anna, wie Wilhelm, einen Platz zwischen zwei Stühlen, zwei Welten und zwei Konfessionen einnehmen. Doch im Gegensatz zum Prinzen, der früh den Spagat zwischen dem Provinzhof und dem niederländischen Jetset-Palast übt, kann die Fürstentochter kein Kapital daraus schlagen und entwickelt keine Chamäleonnatur. Sie reagiert mit Gemütsschwankungen auf den Kulturschock. Eine labile Grundstimmung, ob angeboren oder erworben oder beides, bringt sie bereits aus Dresden mit.
Die kulturelle Kluft zwischen den späteren Brautleuten ist früh erkennbar, aber noch wissen die beiden jungen Leute ja nichts von ihrem künftigen Eheglück.
Beenden wir den Blick auf Wilhelms Werdegang und Lehrjahre. Seine Umschulung ist 1551 vollendet. Der kluge, diskrete, charmante Prinz ist achtzehn, ein erklärter Liebling des Kaisers, und er will auch nichts anderes sein. Als Lohn für die ganze Paukerei darf der fesche Prinz von Oranien sich seine erste Prinzessin aussuchen. Es ist ein weiterer Griff in die Glückskiste.
Ein Casanova auf Freiersfüßen
Kaisers Liebling erhält mit achtzehn Jahren von Karl neben der Mündigkeitserklärung die Erlaubnis, um die gleichaltrige Anna von Buren zu freien. Sie ist die einzige Tochter eines gräflichen Landbesitzers in Holland und Geldern. Standestechnisch rückt der Prinz von Oranien durch die Heirat nicht auf, erhält aber immerhin die reichste Erbin der Niederlande. Dem Bräutigam bringt die Trauung im Jahr 1551 weitere Grafschaften und das Käsestädtchen Leerdam ein. Damit verfügt Wilhelm nun insgesamt über Besitzungen im Wert von drei bis vier Millionen Gulden. Der jährliche Ertrag der Güter und Pfründe übersteigt mitunter die niederländischen Einkünfte des Kaisers. Karl muss ihn wirklich gemocht haben.
Zum Vergleich: Eine Bleich- und Waschmagd bringt es zu dieser Zeit auf 20 bis 25 Gulden Jahreslohn bei 200 Arbeitstagen. Ein Landsknecht riskiert für vier Gulden monatlichen Grundsold – plus Beute – Kopf und Kragen. Im Gegensatz zur Waschmagd wird er an arbeitsfreien Tagen durchbezahlt. Weshalb das Kriegshandwerk zu den Topjobs für Nichtadlige zählt.
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