Sex and Crime auf Königsthronen
empfangen: Fahnenschwinger, Stelzenläufer, Fanfarenbläser, Feuerschlucker, Gaukler, Zauberer, Dudelsackpfeifer, Bogenschützen und zahlloses Adelsvolk in Samt und Hermelin begleiten ihn – darunter ganz vorn dabei: Wilhelm.
Umrahmt werden solche Staatsempfänge und Politmissionen von endlosen Festen, Turnieren und prachtvollen Jagdpartien. Die Adligen dieser Landstriche sind für rauschende Partys, ausgefeilte Tafelfreuden und für Trinkfestigkeit berühmt. Der junge Prinz von Oranien tut eifrig mit.
Der spätere Landesherr Philipp hingegen macht bei den Feierlichkeiten eine schlechte Figur. Dem blassen, schmalen Prinzen bekommt das Trinken nicht. Einmal muss er nach einem Turnier bewusstlos nach Hause getragen werden. Schwächling, murren seine künftigen Adelsvasallen und bemerken spitz, »dass er in kirchlichen Aufzügen (dagegen) nicht genug tun konnte«. Soll heißen: Nach öffentlichen, rituellen Glaubensbekundungen scheint Philipp den Niederländern nachgerade süchtig zu sein.
Der 16-jährige Wilhelm ist von ganz anderem Kaliber, und er lernt das flämische Hofleben schnell zu schätzen. Auch die tiefere Bedeutung der Feierfreude begreift er rasch. Feste sind Machtshows und eine weitere Gelegenheit, die heimische Aristokratie an den Kaiser zu binden. Motto: We are family . Wer mitmachen darf, gehört dazu und hat Spaß und Vorteile.
Zwecks praktischer Studien lädt Karl V. den Teenager Wilhelm auch zu Reichstagen in Deutschland ein. Dort darf der Oranier noch mehr feiern und an Geheimgesprächen teilnehmen.
Karl V. hält den Jugendlichen – zu Recht – für seinen begabtesten Lehrling. Charakterlich gilt Musterschüler Wilhelm als liebenswürdig, aber scheu und undurchschaubar. Der mit aller Raffinesse hochgezüchtete Favorit übt sich von Kindesbeinen an in Charme und Diskretion, um seinen steilen Aufstieg nicht zu gefährden. Nicht umsonst erhält er später den Beinamen »der Schweiger«. Seine intimsten Ansichten und Absichten kann Chamäleon Wilhelm in allen Lebenslagen verbergen. Die besten Voraussetzungen, um erfolgreich Politik zu machen. Damals wie heute. Tarnen, täuschen und sich im Zweifelsfall verdrücken, da fällt sicher jedem von uns ein Beispiel aus dem deutschen Bundestag ein. Na?
Scherz beiseite. Sicher ist, dass Prinz Wilhelm von der Wiege bis zur Bahre den Aufstieg der Dynastie Nassau-Oranien immer im Blick behält – so wie der Kaiser den Aufstieg der Habsburger. Der hübsche junge Dillenburger kann sich nach allen Seiten beliebt machen und wird zum Vorzeigevasall. Zugleich nimmt er mit Feuereifer die außerdienstlichen Gewohnheiten der niederländischen Aristokratie an.
Problemlos findet Wilhelm adlige Kumpane und Zechbrüder, mit denen er nachts städtische Gassen durchstreift. Also, erst mal genug gelernt, und ab ins Vergnügen.
Ein Kavalier und Schürzenjäger
Eine Vorstellung von der Prunkentfaltung und dem Reiz der Städte, die für den jungen Wilhelm von Oranien zum nächtlichen Ausflugsziel werden, kann man sich heute noch machen.
Etwa in Brügge. Der Stadtkern ist beinahe vollständig erhalten. So muss es anno 1600 in vielen flandrischen und holländischen Städten ausgesehen haben. Gepflasterte Gassen, steingefasste Kanäle, Bürgerhäuser mit steil aufragenden Stufengiebeln, gotische Kirchen und zahllose Wirtshäuser und Schenken. Brügge gilt schon im 15. Jahrhundert als das Venedig des Nordens in Sachen Überseehandel mit Luxusgütern und Lebensart. Hier wird 1409 die weltweit erste Börse gegründet. Benannt ist sie wahrscheinlich nach einer Brügger Patrizierfamilie »van der Beurse« und dem lateinischen Wort für Fell und Ledersack »bursa«.
Später gibt Brügge seine wirtschaftliche Hauptrolle an Antwerpen ab, weil der direkte Meereszugang in der Höhe von Brügge um 1500 zunehmend verlandet. Der Abstieg ist Pech für Brügge und ein Glück für uns. Armut ist der beste Denkmalschutz, und weil den Brüggern in den folgenden Jahrhunderten das Geld ausgeht, fehlten bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein die Mittel, um alte Bausubstanz abzureißen. Wer also das Lebensgefühl der Epoche des jugendlichen Wilhelm atmen will, findet in Brügge die Gelegenheit dazu.
Am besten im Januar, noch besser bei Nacht, wenn in den Gassen das (Touristen-)Leben erstirbt, wenn die Kanäle überfrieren und Frost und Stille einkehren. Untermalt von Hufgetrappel und vom Räderrasseln spät heimkehrender Sightseeing-Kutschen kann man in abgelegenen Gassen, im Schatten
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