Sex and the Office
untrügliches Händchen für Styling. Von den hochhackigen Schnürstiefeln und dem knielangen Rock bis zur schlichten Haarspange, die ihre langen roten Haare bändigte, wurde hier nichts dem Zufall überlassen. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt war, Leon Wenzel hinterherzulaufen, um mit ihm seine Termine zu koordinieren, verbrachte sie einen Großteil ihrer Zeit auf dem Dach des Senders. Angeblich, um dort in Ruhe die Quartalszahlen zu analysieren, doch böse Zungen behaupten, sie sei manisch depressiv. Gerüchten zufolge soll sie schon mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt haben, sich vom Dach des Senders zu stürzten, und kurz fragte ich mich, ob ich im Fall der Fälle wohl Aussicht auf ihren Job hätte, verwarf den Gedanken aber wieder. Im Gegensatz zur Giftspinne, die kein Geheimnis daraus machte, dass sie mich nicht ausstehen konnte, war ich mir bei Claudia Krüger noch nicht sicher, wie ich sie einzuschätzen hatte.
Der Rest des Nachmittags, den ich damit zubrachte, Programmbeiträge zu datieren und Wirtschaftsthemen zu recherchieren, wäre getrost unter stinklangweilig zu verbuchen gewesen, wäre ich da nicht auf dieses ominöse Kuvert in meinem Schreibtisch gestoßen. Es war versiegelt und mit der Aufschrift J. Schmidt – streng vertraulich versehen. Meine Neugier war geweckt, und obwohl ich weder eine Ahnung hatte, wer J. Schmidt war, noch wusste, was es mit dem Kuvert auf sich hatte, entschied ich, dieses vorerst für mich zu behalten.
Es war bereits nach fünf, als mein Handy auf sich aufmerksam machte. Rasch bückte ich mich nach meiner Umhängetasche und wühlte nach dem Telefon. Ein Blick auf das Display verriet, dass es Becks war, die aus Madrid anrief. Nachdenklich blickte ich auf. Ob ich an Tag zwei bereits ungeniert Privatgespräche führen sollte? Irgendwann musste man schließlich damit anfangen. »Hi, Becks, was gibt’s?«, fragte ich mit gedämpfter Stimme. Ich ließ das Kuvert in meiner Tasche verschwinden und steuerte mit dem Handy am Ohr auf den Wasserspender zu.
»Charly, du bist meine letzte Rettung!« Schnappatmend erzählte sie, was passiert war.
»Im Knast?« Ich richtete mich mit einem Becher Wasser in der Hand auf. »Das ist ja furchtbar!« Mir war sofort klar, was zu tun war. »Okay, hör mir genau zu«, unterbrach ich ihr Fluchen, während Becks sämtliche Polizisten um sich herum als ›los cabrones‹ beschimpfte. »Du hältst jetzt besser den Mund, bis ich Tante Greta angerufen habe.« Es war nicht das erste Mal, dass Becks bei Einbrüchen in Versuchslabors geschnappt worden war, doch auf meine in Spanien lebende Tante Greta, die vor einigen Jahren einen renommierten Anwalt geheiratet hat, war stets Verlass. Ein Ton von ihrer Lieblingsnichte genügte, und Onkel Gustavo setzte Himmel und Hölle in Bewegung, damit Becks binnen kürzester Zeit wieder auf freiem Fuß war. Tante Greta hatte Gustavo während eines Städtetrips mit meiner Mutter in Madrid kennengelernt.
Wenn man meiner Mutter glauben durfte, hatte Tante Greta ihn bei einem gemeinsamen Essen kaum wahrgenommen, sich aber unsterblich in ihn verliebt, als sie ihn Tage darauf in einer Talkshow im spanischen Fernsehen gesehen hatte, und alles darangesetzt, ihn wiederzusehen. Wer weiß, vielleicht erging es Becks ja auch irgendwann einmal so, dann könnte sie endlich aufhören, die Männer reihenweise aufs Kreuz zu legen. (Andererseits wären derartige Geschichten natürlich weitaus spannender als die einer stilldementen Freundin, deren Gesprächsthemen sich auf Windelwechsel, Abstillen und Hormonschwankungen reduzierten.)
Als Becks erklärte, bereits die ganze Nacht auf dem Revier festgehalten worden zu sein, war mir mit einem Schlag klar, dass ihre Lage weitaus ernster war als sonst. Zu allem Übel hatte sie auch noch Onkel Gustavos Handynummer verloren. »Das können die doch nicht machen!«, stieß ich aufgebracht hervor. Oder um es in Becks’ Worten zu sagen: »Diese Dreckschweine!« Die Worte waren mir lauter als gewollt über die Lippen gegangen, da wurde ein Räuspern hinter mir laut. Das Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, wandte ich mich zaghaft um. Leon Wenzel stand vor mir.
»Ich hätte schwören können, Sie führen Privatgespräche, Karlotta.« Er betonte seine Aussage wie eine Frage.
»Charlotte, mein Name ist Charlotte und nicht Karlotta«, erklärte ich und steckte mein Handy ein.
»Mit vulgären Ausdrücken scheinen Sie sich jedenfalls bestens auszukennen. Dreckschweine,
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