Sex ist verboten (German Edition)
der Meditationshalle nicht weinen. Leidenschaftliche Gefühle gehören dort nicht hin. Nur Mitgefühl. Mitfühlende Liebe. Wohlwollende Freude. Mrs. Harper fing meinen Blick auf. Ich wandte mich ab und schaute durch die leere Halle auf die grauen Decken und die weiße Brandung.
»Was ist los, Elisabeth?«, fragte Mrs. Harper. »Ist es wegen der Küche?«
Die Tränen strömten.
»Drama Queen«, würde Zoe sagen.
»Ich kann nicht mithelfen, tut mir echt leid. Ich muss sitzen. Ich muss still sein.«
»Das wird schwierig«, fing Paul an, »da Elisabeth wirklich die Einzige ist, die …«
Ich wandte mich Mi Nu zu. Mi Nu konnte mir helfen. Sie hatte sich ihr Schultertuch um den Kopf geschlagen. Ihre Hände lagen in ihrem Schoß. Sie hielt den Kopf gesenkt. Ihre Augen waren geschlossen.
Zum Abendvortrag beeilen sich die Meditierenden, um einen Platz an der Wand zu ergattern. Es fällt schwer, still zu sitzen, wenn man nicht meditiert. Es fällt schwer, den Rücken gerade zu halten. Es gibt einen Ansturm auf die Seitenwand und die Rückwand. Als ich das zum ersten Mal sah, zu Beginn meiner Zeit hier, wurde mir schlagartig die Kraft dessen bewusst, was beim Meditieren geschieht. Wenn man sich auf den Atem konzentriert, mit geschlossenen Augen, dann kann man im Schneidersitz mit geradem Rücken dasitzen, ohne sich zu rühren. Man kann sich aus der Zeit wegschleichen. Aber wenn man Dasguptas Ausführungen über die Drei Juwelen, die Vier Edlen Wahrheiten, den Achtfachen Pfad, die Zehn Vollkommenheiten zuhört, dann juckt und zuckt es überall und man dreht und windet sich. Man kann nichts dafür. An jenem vierten Abend, dem
vipassanā
-Tag, ging ich zum Vortrag, obwohl ich wusste, dass am vierten Tag Krsa Gautami dran war.
Natürlich sind die Wände nicht lang genug, um für alle hundertfünfzig Schüler Platz zu bieten. Alle rennen, um sich einen Platz an der Wand zu sichern, genauso, wie sie sich beim Frühstück auf die Bananen stürzen. Sie werfen ihre Kissen an die Wand, im vollen Wissen darum, dass sie jemand anderem denPlatz wegnehmen, vielleicht jemandem, der ihn nötiger braucht als sie. Zwischen den Männern und den Frauen muss an der Wand eine etwa zwei Meter breite Lücke bleiben. Ein Mann und eine Frau dürfen nicht Schulter an Schulter an die Wand gelehnt sitzen, während sie das Dasgupta-Video anschauen. Da könnte sich etwas rühren. Etwas Unreines.
Die Kursmanagerin geht hinüber und flüstert jemandem etwas ins Ohr. Eine zierliche weißhaarige Frau nimmt ihr Kissen, bringt es zurück zu ihrer Matte und setzt sich mit angezogenen Knien hin, die Arme um die Beine geschlungen. Die Videos dauern mindestens eine Stunde. Sie schaukelt langsam vor und zurück. Es gilt als respektlos, sich hinzulegen oder auf einen Ellbogen zu stützen. Die Kursmanager gehen durch die Halle, hocken sich neben die Schuldigen und flüstern. Es ist ebenfalls respektlos, die Beine in Richtung der Lehrer auszustrecken, zu Mr. Harper und Mi Nu Wai. Die Kursmanager scheinen ihre Aufgabe sehr zu mögen. Die Schüler, die keinen Platz an der Wand bekommen haben, sitzen auf ihren Matten und schlagen die Beine übereinander und dann wieder auseinander. Sie umfassen ihre Knöchel. Sie rücken immer wieder ihre Kissen zurecht.
Ich war zum Putzen eingeteilt. Eigentlich wollte ich nicht kommen. Der Abendvortrag ist für die Helfer nicht Pflicht. Der
vipassanā
-Tag hat für uns keine Bedeutung. Ich ging zwischen den Kissenreihen entlang und suchte
ihn.
Ich weiß jetzt, wo er sitzt. In der Mitte einer Reihe, ziemlich weit hinten. Zweifellos suchte er auch nach mir. Bald würde ich seinen bohrenden Blick spüren, und er meinen. Den Blick meiner schlechten Augen. Da. Ich kann ihn gerade so erkennen in dem verschwommenen Durcheinander. Den ganzen Tag lang haben mich seine Augen gefragt, warum ich in seinem Zimmer war, was genau ich in seinem Tagebuch gelesen hatte. Und ich habe hundert Fragen anihn. Was gibt Susie auf, das so wichtig ist? Warum verlässt er seine Frau nicht, wenn er sie so sehr hasst? Es hat sich also alles verändert. Es gibt eine Störung in der Meditationshalle. Sie bietet mir keine Zuflucht mehr.
»Irgendwie komisch, dass du so lange im Dasgupta-Institut bleibst«, sagte Rob beim Saubermachen. Er fegte gerade die Küche aus. Ich wischte die Arbeitsplatten ab. Ich hatte noch nie mit Rob gesprochen. Er ist stämmig, hat Hängebacken und kleine, strahlende, vorstehende Augen. Kein Kinn. Wir arbeiteten schweigend. Vielleicht
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