Sex oder Lüge
gelaufen war, um abzuwarten, bis der Club sich nach ihrer Show leerte, erkannte Miranda, dass sie Zeit vergeudete. Caleb kannte sie in ihrer wahren Identität, also war es albern, abzuwarten und sich in ihrer Verkleidung als Candy Cane zu ihm zu schleichen.
Falls noch einer der Gäste dort war, würde er sie nicht wiedererkennen. Dafür musste sie jedoch jede Ähnlichkeit mit Candy vermeiden. Und der Mensch, bei dem sie am meisten befürchtete, er könne die Exfrau von E. Marshall Gordon in ihr sehen, war genau derjenige, den sie jetzt treffen wollte.
Sie zog sich die Perücke vom Kopf, wusch sich in dem winzigen Bad der Garderobe das Make-up aus dem Gesicht, frisierte ihr kurzes Haar und trug etwas Mascara und Lipgloss auf. Aber was sollte sie für ihr Treffen mit Caleb in der Bar anziehen?
In ihren Boots, der Thermohose und den vielen Oberteilen unter dem Parka, also ihrem Outfit, das sie für die Fahrt durch die Kälte nach Hause wählte, passte sie nicht in den Club Crimson. Daher blieben ihr nur Candys Kleider zur Auswahl.
Vier Abende pro Woche trat sie hier auf, und im Lauf der Zeit hatte sie dabei so viele Kostüme angesammelt, dass sie einen Monat lang verschiedene Outfits tragen konnte. Leider waren es allesamt Kleider, denen man ansah, dass sie Candy Cane gehörten. Sie glitzerten und waren trotz unterschiedlicher Farbabstufungen allesamt rot.
Da ihr jedoch keine andere Wahl blieb …
Drei Kleider mit Saum in Kniehöhe kamen in die engere Wahl, und sie entschied sich für ein knielanges, trägerloses Kleid aus rubinroter Seide.
Caleb fand sie in der hintersten Nische der Bar, genau der, in der er auch an jenem ersten Abend gesessen hatte. Hier hatte sie ihn zum ersten Mal geküsst, und diese Nische hatte sie heute bei ihrem Auftritt ganz bewusst gemieden, weil sie nicht gewusst hatte, ob sie der Versuchung würde widerstehen können.
Nach und nach verlor sie jedes Gefühl für Selbstschutz, und gleichzeitig spürte sie, dass sie mit jedem Schutzmechanismus, den sie ablegte, auch freier wurde. Es war eine Art von Freiheit, mit der sie niemals gerechnet hätte, zumal ihr gar nicht bewusst gewesen war, wie eng die Grenzen lagen, die sie sich selbst gezogen hatte.
Caleb blickte auf, als sie sich mit einem Cherrytini zu ihm in die Nische setzte. Sein Haar war zerzaust, er war unrasiert und lächelte nicht.
„Was ist los?“ Sie probierte ihren Drink.
„Du hast mich nicht geküsst. Ich dachte, wenn ich mich hierher setze, bekomme ich dieselbe Behandlung wie beim letzten Mal.“
Aha. Sie stellte das Glas ab und verschränkte die Hände. „Ich hatte Angst, dass ich dann nicht wieder aufhören kann. Deine Küsse … machen süchtig, und Candy Cane geht nicht auf Wünsche Einzelner ein.“
„Wer sagt das?“ Er dankte Alan, der ihm einen neuen Drink servierte.
Miranda wartete ab, bis sie wieder ungestört waren. Ihr lag einiges auf dem Herzen, doch das Wichtigste wollte sie zuerst loswerden. „Ich habe eingehend über meine Reaktion gestern Abend nachgedacht, als du erzählt hast, dass du Reporter in der Unterhaltungsbranche bist. Ich schulde dir eine Entschuldigung.“
„Wofür? Für deine Ehrlichkeit?“
„Für meine Unhöflichkeit. Auch wenn es mir nicht gefällt, bist du in deinem Job offenbar sehr gut, und das muss ich respektieren. Es tut mir ehrlich leid.“
„Nein, Miranda, wenn sich hier jemand entschuldigen muss, dann ich.“
„Das hast du schon. Die Blumen waren zauberhaft.“ Besonders, weil sie von ihm kamen. „Corinne hat den Strauß versteckt, bis sie am Nachmittag zum Ausliefern gefahren ist. Ich musste also abwarten, bis ich hierherkam, um zu sehen, was sie zusammengestellt hat.“
„Und?“
„Sie sind wunderschön. Du hättest nicht so viel ausgeben sollen. Trotzdem danke. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir jemand das letzte Mal Blumen geschenkt hat.“
„Gerade du solltest jeden Tag frische Blumen haben.“
„Habe ich auch.“ Sie zog die Kirsche aus ihrem Drink. „Aber sie gehören mir nicht.“
Lächelnd senkte er den Blick, und sie beobachtete seine Hand, mit der er das Glas umfasste. Diese Finger hatten sie überall berührt. Ein Glück, dass sie ihn während der Show nicht geküsst hatte. Bei diesem Gedanken hätte sie keinen Ton mehr herausbekommen.
Schließlich räusperte er sich. „Als du hergezogen bist, hattest du da schon vor, ein Blumengeschäft zu eröffnen?“
Nein. Sie schüttelte den Kopf. Damals war sie völlig unvorbereitet aus
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