Sex und Folter in der Kirche
halten.
Bargen die im Neuen Testament angelegten und seinem Heiland
in den Mund gelegten42 Doktrinen vom Opfer-Gott, vom Straf-Gott, vom Belohnungs-Gott, kurz, vom Täter-, Richter- und Henker-Gott nicht erhebliche Gefahren für das Menschsein? Lockten sie die Grausamkeit unter Christenmenschen nicht förmlich hervor? Schließlich weist die Heilige Schrift, eine Basis des Christentums, ziemlich zweifelhafte Züge auf: die Aufforderung Gottes zum Beispiel, mitleidlose Eroberungs- und Ausrottungskriege zu führen und im Zuge der Landnahme auch vor Völkermord nicht
zurückzuschrecken,43 die Intoleranz gegen Andersdenkende und
-gläubige, die fast durchgängig zu beobachtende Attraktivität von Blut und Blutvergießen, die auch im Neuen Testament nicht abge-schwächte Androhung ewiger Höllenstrafen und -quälen,44 das
Ausmalen extremer Quälereien an Ungläubigen oder an den nicht nach Christennorm Lebenden,45 die Rückführung von psychischen und physischen Krankheiten auf die Besessenheit durch Teufel und Dämonen, die darauf aufbauende Teufelsaustreibung,46 die Diskri-minierung von schwächeren Bevölkerungsteilen (Frauen) und Minderheiten (Juden), die weitgehende Zeichnung des Menschen als sündig, die absolute Rechtlosigkeit des Sünders vor dem lieben Gott, die Aufforderung zur Prügelpädagogik.47
Nicht gerade wenig, nicht ungefährlich. Ist aber schon die
Grundlage des christlichen Glaubens verderbt, kann die historische Konsequenz nicht anders aussehen. Kein Schicksal, daß die Kirchengeschichte gekennzeichnet bleibt durch ein unsägliches und unerträgliches Ausmaß an geistigen wie körperlichen Grausamkeiten. Verständlich, daß sich Christen — und noch mehr Christinnen! — angewidert von Glauben und Kirche zurückziehen, nach-
dem sie sich auf diesem Gebiet kundig gemacht haben. Und die sich nicht abwenden? Die flugs mit dem Argument bei der Hand sind, hier werde verzerrt? Solche sehen nicht ein, daß ihre eigenen Oberhirten und Theologen Zerrbilder zeichnen, wenn sie von einer
heiligen Kirche schwärmen und alles Grausame als Randerschei-
nung abtun. Solchen Abwieglern sei geraten, sich mit der Meinung der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen auseinan-56
derzusetzen, die 1993 ihre Kirchenkritik äußerte: Wer sich in einer schwierigen Lebenssituation befindet oder am Rand der Gesellschaft lebt, wird oft auch in der Kirche selbst an den Rand ge-drängt.48 Das gilt für jene Gruppen, denen, wie Obdachlosen,
Drogensüchtigen, Aids-Kranken, allein die mildtätige Zuwendung der Christen zugesagt wird, die aber innerkirchlich Unpersonen bleiben. Und für jene Christinnen, die, als Geschiedene und Wie-derverheiratete, Homosexuelle, im Kirchendienst Stehende,49 ihrer Menschenrechte verlustig gehen.
Wer sich nicht desorientieren lassen will, braucht sich nur in die Fakten zu vertiefen, und ihn wird grausen. Viele Gläubige haben allerdings kaum je die Chance, sich zu informieren. Das galt nicht nur in den Zeiten, da das Christentum das Informationsmonopol besaß und die Fakten, von Kindergarten und Konfessionsschule an, lenkte. Es gilt noch immer, zumal bestimmte Massenmedien, die ansonsten als Informanten der Nation gelten, in Sachen Aufklärung über Christentum und Kirche auffällig zurückhaltend agieren. Was eine unbestrittene Forderung intellektueller Redlichkeit ist — der freie Zugang zu allen Quellen und der selbstverantwortete Umgang mit diesen -, wurde Christgläubigen systematisch verwehrt. Ich wundere mich nicht, daß viele von diesen verwirrt reagieren, wenn sie auch nur von weitem an die Wirklichkeit herangeführt werden sollen. Kein Wunder auch, daß sie gewohnt sind, jedes unvertraute Bild der eigenen Religion von vornherein als Provokation abzuleh-nen. Klar, daß sie sich dagegen zu wehren lernten, zunächst einmal die Texte der Bibel oder die Tatsachen der Geschichte und Gegenwart ihrer Kirchen zur Kenntnis zu nehmen, bevor sie selbst urteilen. »Einem erst die Augen ausstechen und ihn dann führen: ob das wirklich eine Tugend ist?«50
Sehen lernen? Das Richtige sehen lernen? Richtig sehen lernen?
Aufklärung ist Ärgernis; wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher.51 Dies ist nicht jedermanns und jederfrau Sache. Ich verstehe, daß das Christentum eine Angelegenheit von Angstbei-
ßern ist. Auch Schafe können schön zuschnappen, auch Angst reißt Wunden. Das Wort des Evangeliums von den Menschen im Schafspelz, die inwendig reißende Wölfe sind (Mt
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