Sex und Folter in der Kirche
Folterblut und Mord befleckt, sind gerettet vor dem Gericht unserer eigenen Herzen und vor dem Endgericht »unseres Gottes«. Nichts, was der
Verfasser des ersten Briefes an Timotheus in seinem Lasterkatalog aufzählt, trifft auf uns siegreich Gerettete zu. Alles hat das Weib zu verantworten, alle Bösen dieser Welt macht es mit sich gemein:114
»Gesetzlose und widersetzliche Menschen, gottlose und sündhafte, ruchlose und gemeine Menschen, Vater- und Muttermörder,
Mordbuben, Unzüchtige, Knabenschänder, Menschenräuber, Lüg-
ner, Meineidige und was sonst noch der gesunden Lehre widerstreitet« (l Tim 1,9f.).
Wir haben nichts mit derlei zu tun; wir sind Anhänger der
gesunden Lehre. Diese Sicherheit gibt uns Kraft: Unser Gotteslamm führt Krieg gegen das scharlachrote Tier und bleibt selbstverständlich auch in diesem Endkampf siegreich. Denn es handelt sich um 142
den »Herrn der Herren und den König der Könige«, der schließlich mit allem Lockenden, Hurerischen, Weiblichen fertig wird - und dessen Gefolge die »Berufenen, Auserwählten, Getreuen« (Ap
17,14) sind, also wir. Jetzt läuft die projizierte Vision aller Mannheit zu orgastischer Endform auf: »... sie werden die Hure hassen; und bis zur Nacktheit ausplündern und ihr Fleisch verzehren und im Feuer verbrennen« (Ap 17,16). Weg mit dem Weib! Weg mit
seiner, unser aller Unzucht! Weg mit dem Reichtum und Luxus, den Unzucht und Verbrechen mit sich bringen (Ap 18,3)! Denn die
Große Hure wird einfach verbrannt: Stark ist nämlich der Herr,
»unser Gott«, der ihr das Urteil sprach (Ap 18,8)! Schluß mit den Geschäften der Hure, kein Mann kauft mehr bei ihr ein, geht auf ihren süßen Leim, läßt sich durch ihre Zauberkunst (Ap 18,23) verführen! Ihre Korruption ist zu Ende, ihre Lockung sowieso, und
»Männerkörper wie Männerseelen« (Ap 18,13) gehören ihr nicht
mehr! Freuet euch also, ihr Erwählten, Heiligen, Apostel und Propheten, freuet euch! Denn Gott hat für euch das Gericht an dem Weib vollstreckt! Für euch, wörtlich, für euch (Ap 18,20)!
Man stelle sich vor: eine blutrünstige Frau, Inbegriff all unserer Leiden, ein nacktes, tierisches Weib, ein Becher voll süßen Weines, voller Unzucht und Gewalt, trunken von Blut, von unserem Blut»? von dem nämlich der Erwählten — und dann das Gericht, der
Endkampf, die Vernichtung. »Unser Gott« ist für uns am Werk. Er sagte es uns ausdrücklich. Jubel der Sieger (Ap 19,1 ff.): Heil, Herrschaft, Macht für »unseren Gott«! Hat er doch »die Große
Hure gerichtet, die mit ihrer (nicht unserer!) Unzucht die ganze Erde verdarb, und das Blut seiner Knechte gerächt, das an ihrer Hand klebte«! Jubel, Heil, Sieg, Amen, Halleluja. Das Patriarchen-lob überschlägt sich in solchen Worten. Jetzt erst, nachdem das Weib unterworfen und erniedrigt ist, hat der Allherrscher die Kö-
nigsherrschaft angetreten. Jetzt kann die Hochzeit des Lammes gefeiert werden.
Ich breche den Heilsjubel hier ab, obgleich es verlockt, auch die anschließenden apokalyptischen Aussagen anzuführen. Denn mit
der Hochzeit des Lammes will es nicht so recht vorangehen. Die deren Verheißung folgenden Visionen sind in meiner - damals als bestkommentierte Edition bezeichneten - Bibelausgabe (Herder
1968) auf wenigen Seiten ganz trefflich überschrieben: »Die Vernichtung der Heidenvölker«, »Die erste eschatologische Schlacht«, 143
»Das tausendjährige Reich«, »Die zweite eschatologische
Schlacht«, »Das Weltgericht«. Als wüßte niemand Bescheid über die Geschichtsschreibung der Patriarchen: Was für entsetzlich selbstgerechte Aussagen über Gott und die Welt! Welche Kampfes-lust der Täter, welches Streben nach Endsieg und Gericht über die Unterlegenen! Was für eine Verfälschung der geschichtlichen Tatsachen, welch heimtückische Drehung der Fakten! Welche Projektionen von Männergier und Blutdurst auf eine große Frau - und Hure! Was für eine Gerechtigkeit, die nicht nur nach Tier-, sondern auch nach Menschenblut lechzt, Folter und Tod unschuldiger Menschen in Kauf nimmt, unmenschliche Grausamkeit als gottgefälliges Opfer betrachtet! Woher, wenn nicht aus den Abgründen pa-
triarchalen Fühlens, kam die Vorstellung, Gott könne an Men-
schenleibern und -seelen Gefallen finden (Rö 12,1), sich über Blut und Marter freuen, Interesse zeigen an der langsamen Zerstörung seiner Geschöpfe, an ihrer endgültigen Vernichtung?
Wer da bloß auf andere verweist und derlei Ideologien auf
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