Sex und Folter in der Kirche
genüßliche Darstellung der Marter fanden und finden sich noch genug. Wer sich unter den Bildern umsieht, die christliche Kunst schätzt, erhält Belege in Hülle und Fülle. Warum, fragt Shelley203, Bücher gegen das Christentum schreiben, wenn man solche Bilder aufhängen kann? Durch wenig andere Beweis-stücke ist so anschaulich belegt, daß sich »auf ferner fremder, kahlgrauer, wüster, düsterer Schädelstätte, jählings, kohlschwarz, scheußlichst, blutbespritzt« ein Kreuz erhob und »der farbigste, heiterste, fröhlichste Götterhimmel zersprang«204!
An ihren Bildern sollt ihr sie erkennen.205 Sie geben buchstäblich die Illustration zu einer Tatengeschichte ab, die mit einer ununter-brochenen Kette blutigster Greuel den Satz Nietzsches belegt, das Christentum sei die Metaphysik des Henkers. Käme von einem
glücklicheren Stern mit vollkommeneren Menschen (und Religio-
nen) ein Wesen zu uns und ließe es die vielen und hochbedeutenden Werke christlicher Kunst an sich vorbeiziehen, befiele es wahrscheinlich ein Grauen vor der Geschichte der abendländisch-christlichen Menschheit. Denn es sähe in abertausend farbigen und pla-stischen Darstellungen die Gestalt eines Mannes, der grauenhaft gepeinigt wurde, es sähe ihn millionenfach ans Kreuz genagelt, bald sterbend, bald schon gestorben, blutend aus Händen und Füßen
und der durchbohrten Seite. Und es erführe, daß dieses Sinnbild schrecklichster Folter seit fast zweitausend Jahren für die Herren-völker unserer Erde im Nimbus übermenschlicher Vollkommenheit und Vorbildlichkeit steht.
Der Fremde sähe auch die lange Reihe der Heiligen und der
Märtyrer, wie sie auf glühenden Rosten gebraten, von Pfeilen gespickt, mit Zangen bei lebendigem Leibe zerstückelt werden.
Schließlich erblickte er das Phantombild eines fürchterlichen Strafgerichtes Gottes, wo ekelhafte Mißgestalten damit beschäftigt sind, nackte Frauen und Männer in kochendem Öl zu sieden, andere zu würgen, andere in flammende Öfen zu schieben; er sähe mit einem Wort die Hölle »unseres Gottes«. Unbestritten, daß die Kunst der Christenheit einen wesentlichen Anteil an den Ausschmückungen des Folterglaubens hat. Hier scheinen, unter dem Vorwand des
Glaubens, der Phantasie keine Grenzen gesetzt zu sein. Einmal 188
mehr machen Bilder sichtbar, worum es vielen geht: Gewisse weit übers Abendland hin verbreitete Darstellungen der Geißelung Jesu, des Geschehens von Golgotha und der mannigfachen Qualen
christlicher Märtyrer stellen nicht nur in schaurigen Einzelheiten die allgemeine Genugtuung über Folter und Martertod vor, sondern sind in ihrer gewollten Verbindung von Sex und Grausamkeit geradezu unerträglich. Sie waren freilich über Jahrhunderte hinweg wichtigste Werbeträger eines auf das Blut »Jesu« und der Glaubenszeugen gegründeten Christentums.
Die Darstellungen des schönen Jünglings Sebastian206, der von Pfeilen an allen möglichen Körperteilen getroffen ist, stellen nur einen Ausschnitt der Möglichkeiten dar. Die Malerei macht gerade vor »Jesus« nicht halt. Eine Szene des spanischen Malers Louis Borassa offenbart den Willen, eine onanistische Szenerie zu schaffen.207 Dient die Verbindung zwischen der Peitsche des Henkers und der erigierten Männlichkeit seinem Vergnügen oder dem der Beschauer? Auch eine »Geißelung Jesu« von Hans Holbein d. J. im Basler Museum erscheint wie eine Verwirklichung der möglichen erotischen Verirrungen. Jesus hält die Beine wie ein schamhaftes Mädchen gekreuzt, während ein Henker mit zweideutiger Geste
nach seinem Gewand greift. Nicht einmal der Voyeur im Hinter-
grund fehlt; offenbar ist eine bestimmte Gefühlsskala angesprochen.
Wer sich als Liebhaber sieht, braucht nicht nur Bilder anzusehen, wie sie in fast allen Museen zu finden sind. Er kann wenigstens zeitweilig grausame Szenen religiöser Provenienz in natura be-schauen. Er muß nur als Tourist nach Rio oder Madrid fahren, um die letzten Geißlerprozessionen der Welt mitzuerleben.208 Zwar ist der Höhepunkt der frommen Shows überschritten. Die spanische
Fastenzeit kann nicht mehr mit den fünfzehn Tonnen Ketten und den achttausend Holzkreuzen des Jahres 1967 dienen;209 damals trugen fanatisierte Büßerinnen Kutten, in die Nonnen Roßhaar und Eisenstückchen eingenäht hatten, um sie nur ja rauh und hart zu machen. Doch dürfte die Ideologie solch zweideutiger Frömmigkeit noch lange nicht überwunden sein. Die Verbindungen von Eros und Thanatos, von
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