Sexualitaet mit Leib und Seele
erreichen, dreht sich beim Liebemachen oft alles nur um den Gipfelsturm und gar nichts um die Sinnlichkeit. Und wird er bei beiden leicht erreicht, wird er erstaunlich schnell nebensächlich.
Die Bedeutung des Orgasmus wird überhöht – was auch verständlich ist. Dieses Gefühl, dieses Überflutetwerden, dieser Rausch, für ein paar Augenblicke nichts zu denken und danach in eine Entspannung zu sinken, die einzigartig und köstlich ist, das ist einfach umwerfend. Selbstverständlich sind wir wild auf dieses Erleben. Für Männer ist Sex ohne Orgasmus kein Sex. Und Frauen fühlen sich als Liebhaberinnen zweiter Klasse, wenn sie nicht zur »Big-O«-Spitzengruppe gehören und zuverlässig und am besten mehrfach kommen können.
Das Streben nach dem Höhepunkt hat jedoch einen großen Haken für die Lust: Es führt in einen Tunnel. Männer können ihn schon in dem Moment betreten, wenn sie eine Frau auf einen Kaffee einladen. Frauen spätestens dann, so bald sie anfangen, auf ihren Orgasmus hinzuarbeiten. Dieser Sog ist fast unwiderstehlich. »Der Saft muss raus, koste es, was es wolle« – das jedenfalls meinen die meisten Männer.
Das unbedingte Streben danach macht uns im Orgasmus einsam, deshalb wird der gemeinsame Höhepunkt auch so ersehnt. Doch letztlich sind wir bei diesem speziellen Erlebnis nur gemeinsam einsam, wirkliche seelische Verbindung entsteht anders.
Für eine Sexualität mit Leib und Seele müssen Sie lernen zu verweilen, und das bedeutet, den Orgasmus erst einmal zu vergessen. Es darf einer kommen, aber wenn Sie von Anfang an nichts anderes im Kopf haben, nur ihn, können Sie sich nicht in der Gegenwart ausdehnen, in Ihren Empfindun gen. Erst wenn Sie den Orgasmus weit nach hinten schieben, schaffen Sie Platz für das Yin.
Die Wahlfreiheit des Mannes am Gipfel
Kein Ziel zu haben, das klingt für Männer meist nicht sehr verführerisch. Sie wissen lieber, wohin sie wollen, und beim Sex arbeiten sie gern daran, wie oft sie hintereinander können. Begierig hören sie Geschichten über Multiorgasmen, denn das klingt nach einer ordentlichen Leistung.
Bitte vergessen Sie den multiplen Multisuperturboorgasmus. Eine echte Leistung ist es, wenn Sie in Ihrem Penis präsent sind, die Vagina spüren, in der Sie sich gerade aufhalten, vielleicht sogar mit gelassenen, langsamen Bewegungen. Machen Sie Liebe, veranstalten Sie keine Leistungsshow. Vielleicht lassen Sie den Orgasmus auch mal ganz, einfach aus dem Grund, weil es so schön ist:
»Es war spätnachts, und wir hatten einen traumhaften Tag an einem See verbracht. Beim Sex stimmte alles zwischen uns; er war total aufmerksam, und ich hatte zwei, drei Höhepunkte. Er ging so mit mir mit, dass wir ein paar Minuten einfach nur glücklich dalagen, er noch in mir. Doch dann rappelte er sich plötzlich wieder hoch – und begann zu ›arbeiten‹. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an, und ich fragte ihn: ›Du, willst du jetzt wirklich noch?‹ Da brach er fast erleichtert auf mir zusammen. Fast im selben Moment sind wir eingeschlafen. Und am nächsten Morgen haben wir gleich als Erstes eine kleine Nummer geschoben.«
Es einfach mal zu lassen hat mehrere Vorteile. Die Energie bleibt erhalten. Zu viele Orgasmen, die beim Mann in den allermeisten Fällen mit einer Ejakulation verbunden sind, erschöpfen. Gut möglich, dass Männer, die keine Lust auf Sex haben, nur instinktiv ihre Ressourcen schonen. Dazu müssten sie allerdings nicht auf Sex verzichten, sondern nur auf die Ejakulation. Das kann eine interessante Spannung aufbauen:
»Die Woche über kommt mein Mann immer total erledigt nach Hause. Da lief früher gar nichts, und am Wochenende meist auch nichts. Bis wir den aufgestauten Frust abgebaut hatten, war es Sonntagabend, und er dachte schon wieder an die nächste Arbeitswoche. Jetzt haben wir vereinbart, dass ich ihn unter der Woche überfallen, meine Zärtlichkeitsgefühle an ihm austoben darf, wobei er aber nichts leisten muss. Meistens schaffe ich es, dass wir uns vereinigen und ein wenig miteinander bewegen. Aber es herrscht Orgasmusverbot. Er darf nicht. Und manchmal möchte er dann doch schon fast. Wenn das ein-, zweimal unter der Woche so läuft, ist er am Wochenende richtig heiß, und wir haben eine schöne erotische Zeit miteinander.«
Männer mit Überdruck sehen in solchen Abmachungen natürlich keinerlei Sinn, sie brauchen die Ejakulation als Ventil, um allgemeine Spannungen abzureagieren. Aber doch bitte nicht in der Vagina!
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