Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
wird, weil er in der Kantine einen politischen Witz erzählt, strafversetzt in die Abteilung M, um Briefe ›aufzudampfen‹. Wenn dies so gewesen wäre, hätte das ganze MfS dort gearbeitet.« Dass ein verdeckt überwachter Mensch nicht steuern kann, wann welcher Witz von wem abgehört oder übermittelt wird, ein hauptberuflicher Stasi-Mitarbeiter aber durchaus, ist Schmidt nicht bewusst. Seine Aussage stimmt zwar inhaltlich, zeigt aber genau den Mangel an Bodenhaftung, der den Bürgern Angst machte.
Man arrangiert sich
Otto Prokop hatte ein nonchalantes Verhältnis zum MfS. Er sah die Abteilung IX zu Recht als Ansprechpartner für strukturelle Fragen und nicht vorwiegend als ihn bedrängendes Überwachungsorgan. Prokop arrangierte sich. Das fiel ihm leichter als anderen. Schließlich konnte er das Land jederzeit verlassen.
Seinen Nachbarn, dem bekannten Schauspieler Erwin Geschonneck (1906 – 2008), bat Prokop beispielsweise am 16. August 1988 in einem Brief auf offiziellem Instituts-Papier der Charité darum, gemeinsam eine Antenne für das gesamte Wohnhaus auf der Karl-Liebknecht-Straße anzubringen, um den West-Sender Sat.1 empfangen zu können. Angst vor Schwierigkeiten mit dem MfS hatte Prokop dabei nicht, denn »da es ja keine ernsthaften politischen Einwände gibt und meine Assistenten, Ärzte und technischen Assistentinnen Sat.1 sehen, ohne dass ihre Gesinnung oder ihre Arbeitslust daran zerbricht, sehe ich keine Schwierigkeiten, die Antenne so umzubauen, dass wir alle Sender bekommen. Herr von Ardenne [Manfred Baron von Ardenne, Physiker, 1907 bis 1997] macht sich das selbst, aber ich bin zu dumm dazu.
Mich bringt die Sache auf die Idee, dass vielleicht kein Kostenträger für die Umrüstung existiert. Auch DDR 1 kommt manchmal schlecht! Natürlich können wir im Haus nicht mit einer Sammelbüchse herumgehen, und das bringt mich zu dem Vorschlag, dass wir beide das für unsere Hausgemeinschaft übernehmen.
Kostet eine anständige Antenne – der Mast steht ja – nur bis 500 Mark, übernehme ich die Kosten. Wenn es darüber ist, teilen wir uns vielleicht die Kosten, und dann haben wir Ruhe im Fahrstuhl [die Nachbarn hatten Prokop und Geschonneck im Aufzug auf den Antennenwunsch angesprochen] und brauchen uns nicht mehr agitieren zu lassen.
Vielleicht schreiben Sie darunter, dass Sie einverstanden sind, und geben den Brief dann unserem Hausmeister, der dann die KWV [Kommunale Wohnungsverwaltung] verständigt!«
Da Prokop im modernsten Wohngebiet der Stadt direkt am Fernsehturm lebte, war es unmöglich, dass seine Antennen-Aktion unbemerkt bleiben konnte. Schauspieler Geschonneck schrieb tatsächlich »Einverstanden!« unter den Brief, zeichnete ihn ab und reichte ihn ein. »Dass wir am gleichen Strang ziehen«, so Prokop an Geschonneck, »vereinigt uns, und so fällt etwas Glanz von Ihnen auch auf mich!« Prokop war ein Charmeur, und er glaubte zu Recht an die Macht seines Charmes. Dass er in Wirklichkeit unter dem Schutz des MfS stand, das ihn brauchte, blendete er aus.
Hier wohnte Professor Prokop in Berlin: Auf der Karl-Liebknecht-Straße, die sich Unter den Linden und zum Brandenburger Tor fortsetzt. Dies war das damalige Sahnestück des modernen Berlins, direkt am Fernsehturm, dem Berliner Dom und dem Rathaus – gleich gegenüber der Sankt Marienkirche, die die Auflösung des Viertels und Neugestaltung des Gebietes um den Alexanderplatz überlebt hatte.
Der spielerische Umgang mit den Mächten war Prokops Markenzeichen. Er wurde immer wieder dabei »erwischt«, mit seinem Auto im Westen unterwegs zu sein. So meldeten beispielsweise die Abteilungen I (Innere Abwehr) und II (Spionageabwehr) des MfS, dass im August 1957 ein verdächtiger Pkw in Bonn gesehen worden sei. Es war der Wagen von Prokops Ehefrau, mit der er gemeinsam Bonn besuchte. Da die Prokops offiziell am 25. Januar 1957 nach Ostdeutschland übergesiedelt waren, schien dieser Ausflug prüfenswert. Es kam jedoch rasch ein Hinweis von einer übergeordneten MfS-Stelle, dass die weitere Bearbeitung des Falles einzustellen sei. Die Brisanz von Prokops Ausflug ergab sich für das MfS zusätzlich zu seiner Übersiedelung in den Osten auch daraus, dass Bonn die Hauptstadt Westdeutschlands und Prokops Frau zuvor Mitarbeiterin im Bundestag in Bonn gewesen war. Kein Wunder, dass die Stasi die Augenbrauen hochzog.
Wegen Prokops Reisen kam es immer wieder zu Meldungen innerhalb der Stasi. Sie wurden alle ordentlich abgearbeitet. Im Dezember
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