Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
normaler Kriminalpolizist der Volkspolizei oder ein ausländischer Gast war. Letztlich war es ihm auch egal.
Der Studiengang Kriminalistik an der Humboldt-Universität wurde trotz seiner unzweifelhaften fachlichen Güte nach dem Mauerfall ersatzlos abgeschafft. Bis heute sind kriminaltechnische und kriminalpolizeiliche Techniken daher an den Fachhochschulen der Polizei ein abgesondertes Stiefkind unter den anderen dort gelehrten, beispielsweise juristischen Fächern.
Das Zusammenwirken von Naturwissenschaften, Kriminalistik, Politik und ungenügend getrennten Gewalten hatte bereits im Dritten Reich schreckliche Folgen, etwa bei der Verfolgung von Menschengruppen. In Ostdeutschland trug man die Fahne des Antifaschismus weit vor sich her und hätte zumindest in dieser Sache – der niemals gesunden, direkten Verbindung von Politik und Forschung – gewarnt sein können.
Selbstwahrnehmung der Stasi
Viele ehemalige Mitarbeiter des MfS finden die oft negativen Meinungen zur Stasi unverständlich. Vor allem die niedrigen Renten für die direkt an geheimdienstlicher Arbeit Beteiligten sehen sie als unfair an, da sie im Auftrag des Staates gehandelt haben.
Bei einer Konferenz in Berlin im Jahr 2013 unter dem Motto »Wir werden immer solidarisch sein« sagte beispielsweise der Vorsitzende der Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR e. V. (ISOR) , Horst Parton dazu:
»In der letzten Zeit verfolgen wir sehr aufmerksam die Eskalation der Verteufelung der DDR durch Politiker und die Medien, wie gewohnt mit ihrem Lieblingsthema ›Stasi‹. Nach ihrer Meinung dürfte Mitarbeitern der ›Stasi‹ und ›stasinahen Vereinen‹ bei ihren ›Geschichtsfälschungen‹ und für die ›Verhöhnung und Beleidigung der Opfer‹ kein Podium gegeben werden.
Insgesamt müssen wir einschätzen, dass die endgültige Beseitigung des Strafrentensystems höchstwahrscheinlich nur auf juristischem Weg möglich sein wird. Da die politische Klasse der Bundesrepublik sich vorbehaltlos mit dem Feindbild MfS identifiziert, so als sei der Kalte Krieg niemals beendet worden, schätzen wir illusionslos die hohen Hürden ein, die wir noch zu überwinden haben.«
Unter der nachvollziehbaren Sorge um die Altersbezüge liegt aber auch das Unverständnis, warum sich viele ostdeutsche Bürger vom MfS überhaupt eingeengt fühlten.
So schildern Klaus Panster und Wolfgang Hartmann nach einem Treffen des Insiderkomitees zur kritischen Aneignung der Geschichte des MfS (IK-KORR) aus dem Jahr 1999:
»Den Abend vorbereitend, hatten wir uns bewusst gemacht, jahrzehntelang in einem Irrtum befangen gewesen zu sein, als wir von einem ganz überwiegenden und wachsenden Vertrauen der DDR -Bevölkerung zum MfS ausgingen. Speziell die Mineralogin Frau Dr. Werner vermochte durch ihre sehr persönliche Erlebnisdarstellung nachvollziehbar zu vermitteln, wie bei ihr infolge von MfS-Aktivitäten – die für uns in der Abwehrarbeit Routine und ›Kleinkram‹ waren – das Gefühl wuchs, trotz ihrer engagierten fachlichen und gesellschaftlichen Arbeit werde ihr durch das MfS offenbar misstraut, gepaart mit sich entwickelnder Angst vor dem MfS.
Diskussionspunkt war, dass Vertrauen beziehungsweise Misstrauen gegenüber der Bevölkerung nicht allein ein MfS-Problem war, sondern eine Grundfrage der SED -Politik. Dazu verwies Frau Dr. Werner allerdings auf eine für ihr Erleben wichtige Spezifik: SED -Mitglieder kannte sie persönlich, leitende zumindest aus den Medien, sie besaßen für sie ›ein Gesicht‹. Währenddessen blieb das MfS für sie immer anonym, ›gesichtslos‹.
Sie formulierte direkt als Vorwurf, warum seitens des MfS – wenn es dort offene Fragen zu ihrer Person gab – nie ein Gespräch darüber mit ihr (oder anderen Personen) gesucht wurde.
Konsens bestand unter den Diskussionsteilnehmern, dass ›Selbstwahrnehmung‹ und ›Fremdwahrnehmung‹ des MfS sehr verschieden voneinander waren.«
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Stasi-Mitarbeiter oft in einem Kokon lebten, schildert Oberstleutnant a. D. Wolfgang Schmidt. Er leitete im MfS zuletzt die Auswertungs- und Kontrollgruppe der Hauptabteilung XX , die auch für Kulturarbeit zuständig war. Zu einer Szene des Films »Das Leben der Anderen« (2006), in dem – aus der Sicht von Stasi-Mitarbeitern meist überzeichnet – dargestellt wird, wie das MfS in das Leben der Menschen eingriff, sagte er: »Ein Mitarbeiter
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