Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Augen, wenn der Name Hetzel fällt. Der Fall ist ein Klassiker unter den berühmtesten Fehlurteilen der Geschichte. Denn dass ein Fehlurteil vorlag, ist unbestritten. Es fragt sich nur, ob es im ersten oder zweiten Verfahren erfolgte.
Was meinen Sie?
4. Das Richtige tun
Wie findet man in einer sich wandelnden Welt eine persönliche Haltung, die in der Rückschau und vor der Geschichtsschreibung standhält?
Otto Prokop beschäftigte diese Frage nach mehreren Systemwechseln sehr. Er hatte erlebt, wie die katholische Kirche mit den Nazis verbandelt war, wie die Nazis den österreichischen Bundeskanzler erschossen, wie seine Eltern sich trennten und seine Großeltern sich umbrachten, wie mehrere seiner Schüler aus Opportunismus die politischen Lager wechselten, wie Kriegskameraden ihre Biografien zuerst als Helden, die sie nie waren, und dann als harmlose Mitläufer, die sie ebenfalls nie waren, zurechtbogen, wie Eitelkeit auf Eitelkeit traf und Dummheit auf Wissen.
»Über einiges kann die Geschichte noch nicht geschrieben werden«, schrieb Prokop in einem Manuskript. »Sie ist kompliziert, und es ist schwer, solches zu unternehmen, ohne all die Einflüsse einzubringen, die auf ganze Völker eingewirkt haben: die Rolle der Parteien, Religionsgemeinschaften, Päpste und führender Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur. Sie mit Kritik zu verschonen, ist leider schon ein Beitrag zur halben Wahrheit.
Nie darf ein Leser vergessen, dass für das Kolorit geschichtlicher Ereignisse nicht selten Verbrecher und auch Geistesgestörte verantwortlich sind.
Jeder Einzelne hat ›seine‹ Zeit zu verkraften, und es ist sicher nicht überzogen, wenn er sich vergegenwärtigt, dass sein Einfluss, in das Getriebe einzugreifen, meist sehr gering oder sogar ›null‹ ist.
Wenn es einen Sinn hätte, an die Massenmedien zu appellieren, würde ich sagen, man solle mit Zwischentönen und Halbwahrheiten wirken und sich mit Kollektivbeschuldigungen zurückhalten. Die Verantwortung der Historiker ist groß, und sie sollten keiner Partei und auch keiner Religion angehören. Doch das ist ein ›frommer Wunsch‹.«
Diese Auszüge aus dem katholischen Feldgesangsbuch hatte Prokop als Abbildung für seine Autobiografie vorbereitet. Die Unterstreichung stammt von ihm: Der Zweite Weltkrieg begann in Europa im September 1939. Die katholische Kirche hatte in Prokops Augen nicht genügend Distanz zu den Nazis. Da er selbst aus einem katholischen Umfeld stammte, musste ihm dies im Nachhinein rätselhaft erscheinen. Seine scharfe Kirchenkritik war einer der Hauptgründe dafür, dass Prokops Autobiografie in den 80er Jahren in Ostdeutschland vom Verlag der Nation abgelehnt wurde.
Diese Einstellung hatte Prokop nicht als Verteidigungsrede, sondern aus tiefer Überzeugung schon früh verinnerlicht.
Er kämpfte seit seiner Zeit in der Bonner Rechtsmedizin mit flammendem Schwert gegen Scharlatanerie, widerlegte fragwürdige medizinische Verfahren und jede Art von Aberglauben. Dabei scheute er schon als junger Arzt nicht davor zurück, sich mit Berufsverbänden, Kollegen und höheren Gewalten anzulegen – von Schüchternheit keine Spur . Prokop scheint sogar einige Zivilklagen gewonnen zu haben, wenn ihn seine Gegner persönlich angriffen. Dazu sind allerdings keine Akten erhalten, sondern nur sein Chef Elbel berichtete in einem Nebensatz davon.
Was bei Prokop schon früh zu seiner Abneigung gegen Aberglauben jeglicher Art führte, weiß ich nicht. Er verstand sich jedenfalls als Arzt, der schon lange vor den heutigen Studien eingesehen hatte, dass ärztliche Zuwendung ein wirksames und gutes Heilmittel ist .
Otto Prokops Verdienste, wie er sie am Ende seines beruflichen Lebens sah. Dass er nie in einer Partei war, betonte er unermüdlich, auch hier als Abschluss seines Curriculum Vitae. Unparteilichkeit in jedem Sinn war für ihn die Lektion seines Lebens, wie er auf Nachfrage öfter berichtete.
Die hier gezeigte Seite stammt aus einem spiralgebundenen DIN -A5-Heft, das Prokop 1991 im Selbstdruck »aus dem Institut für gerichtliche Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin« (Titelseite) herausgab. Darin sammelte er jeden seiner Vorträge und jede Veröffentlichung und führte das Heft bis 1996 weiter. Danach schenkte er es mir – er hatte aufgegeben.
Prokop erkannte auch den Zusammenhang zwischen unwissenschaftlichem Denken und daraus entstehenden Tücken vor Gericht. »Es kann kaum die Aufgabe der gerichtlichen Medizin sein«, so
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