Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
gewonnen haben – da hat sich ja nur bestätigt, was das für Monster sind, für übermächtige, und dann auch noch Fuß fassen auf deutschem Boden und alles bestimmen und seine Pistole zu- schweißen! Das ist ja Entmannung, wenn man deine Waffe, deine Handfeuerwaffe zulötet. Es war peinlich.
Die kleinen Geschichten, die muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen im Kontext mit diesem wirklich genialen Spielkind und Wissenschaftler – war er nämlich beides. Er hat durch Spielen, durch Rumspielen mit den Schnecken geforscht. Ein anderer wäre vorbeigegangen an diesen Sachen – aber nicht Prokop. Das ist ganz merkwürdig.
Dann hat er uns natürlich von seinen Fällen erzählt und Schussverletzungen gezeigt, da fühlte er sich auch noch zuständig als jemand, der geschossen hatte. Wie Ausschüsse und Einschüsse aussehen, wie Knochen, wie Schädel aussehen. Dann ist er wieder darauf zurückgekommen, dass die Front immer da war, wo man gerade ist. Weiter vorn, da haben sie die Gefallenen – es war Winter – aufeinandergeschichtet, und die sind sofort vereist und waren dann wie vereiste Packungen. Sie wollten sie wohl verbrennen, das ging aber nicht, und er erzählte wiederholt, wie die Front sich immer wieder vor und zurück bewegt hat, immer wieder an diesen geordneten Leichenstapeln – eben nicht Bergen, sondern Stapeln – vorbei und wie die aussahen.
Er erzählte kleine, wie soll man sagen, blitzlichterhelle Szenerien aus seiner Erinnerung. Man hat einerseits gemerkt, dass der Krieg ihn total verstört hat, was man aber nicht so stehenlassen kann. Er hat den Krieg beherrscht und nicht der Krieg ihn. Er hat überlebt.
Prokop war sehr, sehr fasziniert vom Faschismus, vom deutschen Faschismus, von dieser männerhymnischen Veranstaltung. Das waren ja die disziplinierten Körper, diese zu Formationen aufgestellten Disziplinierten in Nürnberg oder bei den Sportveranstaltungen, diese disziplinmäßig bewegte Masse von Männern und vielleicht auch Frauen – aber die spielen da keine große Rolle, außer als Deko –, das gefiel ihm. Das hat ihn beeindruckt – Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit, Arbeit, Treue, diese ganzen Prinzipien der Kameradschaft.
Im Krieg ging es ja nicht mehr, dass man das alles aufrechterhalten konnte. Da sind die Körper auseinandergeflogen und die Formation war dahin, und das war für ihn, glaube ich, das Allerschlimmste, dieses Chaos, das in diese nationalsozialistische Ordnung drang.
Ich hab ihn auch angesprochen auf die Aussonderung der Juden aus den öffentlichen Stellen als Ärzte, als Beamte, ihre Entrechtung, ihre Enteignung, ihre Deportation. Das war alles Ordnung, das hat noch mehr Ordnung geschaffen, das hat die Ordnung noch mehr unterstützt, das hat Reinheit gebracht. Diese Blutgeschichte, ich schwör’s dir, das war ’ne ganz ganz interessante Sache, darüber hat er aber leider nicht gesprochen, dass jemand, der so als Nazi indoktriniert ist, auch Blutsvorstellungen hat, und dass er dann quasi als Wissenschaftler damit arbeitet. Verstehst du, mit diesen Helix-Geschichten hatte er auf einmal einen vollkommen anderen Blutzugang. Es geht aber um erbpathologische Geschichten und Erbgeschichten – die Blutgruppen.
Prokop hat seinen späteren Freund Professor Uhlenbruck wegen dieser Dinge kontaktiert, als dieser in England war. Prokop fand es faszinierend und brauchte ein bisschen Schützenhilfe.
Ja, verstehst du, das ist Ideologie und Wissenschaft, die haben sich widerstreitend voranbewegt. Und Prokop, das ist auch noch wichtig, war ein absoluter Hasser von Naturheilmethoden. Also, Hahnemann [Erfinder der Homöopathie] und das war alles Teufelszeug.
Da hat er sich super reingehängt. Ich habe mit ihm zusammen mal einen langen Artikel darüber geschrieben, einen langen Fachartikel für den Skeptiker , und der wurde abgelehnt, ganz merkwürdig. Es gab überhaupt keinen Grund, den abzulehnen. Es stellte sich heraus: Prokop hatte sich mit einer Gutachterin für den Artikel früher mal überworfen. Mit ihr hatte Prokop sogar zusammen veröffentlicht.
Das ist interessant. Ich sage dir, da hockt der Faschismus wieder in der Ecke.
Die beiden waren ansonsten völlig d’accord.
Prokop konnte sich im Osten ja viel leichter darüber unterhalten. Das ist auch so ein Geheimnis – im Osten konntest du dich als alter Nazi hervorragend unterhalten mit anderen alten Nazis.
Das wusste ich gar nicht. Hätte es da nicht Ärger geben können?
Überhaupt nicht. Nein, nicht
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