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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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das als Demütigung und tiefe Kränkung. Aber auch der Neid auf seine große Beliebtheit spielte eine Rolle. Ich habe ihn als sehr verbittert in dieser Hinsicht empfunden, was ihn aber nicht im persönlichen Umgang beeinflusst hat: Hier konnte er von einer humorvollen, manchmal auch etwas sarkastischen Herzlichkeit sein, schmunzelnd Charme und Schmäh versprühend. Er konnte die »Wiener Schule« – beispielsweise Karl Kraus und Freud – nicht verleugnen. Mich faszinierte vor allem seine umfassende Bildung.
    Ich war bei ihm im Zimmer, als das Telefon draußen klingelte und die gesagt haben: »Ich weiß nicht, wo er ist, ich kenn’ ihn nicht, der ist nicht hier.«
    Ja, das ist geradezu eine typische Situation gewesen. Einerseits war äußerlich seine Macht oder besser sein Einfluss gebrochen, andererseits war er immer noch der »Professor der Herzen« bei Studenten, ehemaligen Mitarbeitern und Schülern. Seine Vorlesungen waren Kult gewesen, und die verschiedenen Fliegen, die er dabei trug, auch. Aufgrund seiner doppelten Staatsangehörigkeit konnte er auch oft in den Westen reisen, Vorträge halten oder als Gutachter tätig sein.

    Von Otto Prokop mit Zusatzkommentar versehene Weihnachtskarte im Jahr des Mauerfalls 1989. Vorne beste Wünsche zu den Festtagen und zum neuen Jahr, hinten eine humoristische Trauer-Anzeige zur Berliner Mauer, die damals in Umlauf war.
    Hatte er auch einen deutschen Pass?
    Ich glaube, er und seine Frau hatten noch einen westdeutschen Personalausweis, denn er sagte einmal, dass er und seine Familie nicht nur einmal die Möglichkeit gehabt hätten, in den Westen zu »repatriieren« und überzusiedeln. Seine Frau war ja aus Bonn, er hätte auch hier [im Westen] einen Lehrstuhl haben können.
    Ostberlin war für ihn aber nicht nur eine Frage der Ehre, sondern auch eine Frage der Ethik. Er sah sich als Hochschullehrer, Wissenschaftler und als ein sehr menschlicher »Chef« in der Pflicht, für die Ausbildung der dortigen Ärzte sein Bestes zu geben. Und seinen Einfluss als Promi konnte er geltend machen, um Brücken nach dem Westen zu schlagen, Brücken, über die ein Austausch von Informationen, Büchern und Zeitschriften möglich war. Er wollte keineswegs, dass die DDR »akademisch und ärztlich ausblutete«. Er war Humanist und auch in seiner kriminalistischen Arbeit ein Wahrheit-Suchender mit einem großen Gerechtigkeitsempfinden. Ich sagte ihm oft: Du bist zwar Gerichts- oder Rechtsmediziner, aber für mich bist du Gerechtigkeitsmediziner!
    Wie passt das denn mit den Mauerakten zusammen? Er hatte früher noch zwei, drei in seinem Panzerschrank. Aber er wusste, dass die beim MfS verschwinden. Er hat sie trotzdem weitergeleitet – da ist doch eine blinde Stelle.
    Er musste manche Dinge tun nach dem Leninschen Prinzip des Lavierens und Paktierens. Er war jemand, der klug abwägen konnte, was zu tun war. Und das, was zu tun war, das wollte er nach bestem Wissen und Gewissen nach dem ärztlichen Grundsatz »nihil nocere« (keinen Schaden zufügen) durchführen.
    Er hatte in Bonn gelernt, was »klüngeln« heißt, und er hat das auch beim Taktieren mit den Oberen der DDR sehr gut und nicht zum Schaden anderer umsetzen können. Zwei Beispiele nur: Sein Oberassistent war damals der Sohn von Karl-Eduard von Schnitzler [1918–2001, Chef der politischen Sendung »Schwarzer Kanal«]. Schnitzler war der »Goebbels der DDR «, und sein Sohn hatte sich nicht ohne Grund in die gerichtsmedizinische Wissenschaft geflüchtet. Wir waren befreundet und haben einige wissenschaftliche Arbeiten gemeinsam verfasst und publiziert. Dann war da Peter Luther, nachweislich ein Nachfahre von Martin Luther, Vorsitzender der Ost- CDU. Und schließlich war Otto Prokop einflussreiches Mitglied der Leopoldina, einer unabhängigen, weltweit anerkannten Wissenschaftsakademie mit internationalen Verbindungen.

    Peter Luther (geb. 1942) und Otto Prokop, Berlin, September 1982. Der Mediziner Luther war ab 1991 Senator für Gesundheit in Berlin und arbeitete früher zwischenzeitlich mit Professor Prokop.

    Otto Prokop (li.) und Gerhard Uhlenbruck (re.) mit Professor Peter Dahr (1906–1984). Im Mai 1939 hatte sich Dahr über die Unterscheidung von Menschen anhand ihrer Blutgruppen habilitiert. Ab 1944 war er Leiter des Blutgruppenlaboratoriums in Berlin, nach dem Krieg in Göttingen. Dahr war Mitentdecker der Rhesusgruppen des Blutes, die bis heute bei jeder Blutuntersuchung bestimmt werden.
    War Schnitzler nicht der, der

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