Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
warum dieses Lager errichtet wurde. Einen Grund gab es: Über den Rhein konnte man nicht fliehen. Aber von einer Guerillakriegsgefahr konnte man wirklich nicht reden, denn alle waren froh, dass das Töten und Morden ein Ende hatte.
Über das Lager gibt es bis heute Stillschweigen. Otto Prokop hat dieses Trauma nie vergessen. Er hatte die Nazis und den Krieg überlebt, aber den Glauben an die Einmaligkeit dieser Katastrophe hatte er verloren. Er ahnte: Es wird immer Kriege und Lager und Terror und unmenschliches Leid auf der Welt geben. Der Wunsch, Medizin zu studieren, war für ihn auch ein humanitäres Anliegen. Das Lager war ein Verstoß gegen die elementaren Menschenrechte, so sah es Prokop.
Was sollte das?
Ich verglich es mit dem Erlass von Herodes, der alle Neugeborenen umbringen ließ, um auf diese Weise den neugeborenen Erlöser mit zu erfassen. Vielleicht waren zwei oder drei Fanatiker auf diese Weise ergriffen worden, aber dafür mussten Tausende, leider sehr viele auch mit ihrem Leben, büßen. Einer der Ausreißer aus diesem Lager, ein Kölner Architekt, hatte kurzfristig bei uns Unterschlupf gefunden, und wir waren bis zu seinem Tod mit ihm befreundet. Er war nachts unter dem Zaun durchgerobbt und im Schutz des Regens auf und davon.
Wann sind Sie denn ausgebüxt?
Mir gelang 1944 die Flucht vom Westwall-Einsatz (bei einem Tiefflieger-Angriff ging die Flucht zu den Amerikanern schief) von Düren bis nach Köln. Natürlich zu Fuß auf Nebenwegen über Nacht. Dann versteckte ich mich im Keller vom Elisabeth-Krankenhaus in Köln-Hohenlind, wo auch meine Geschwister untergebracht waren. Später ging’s nach Sinzig, wo mich keiner mehr kriegen sollte, denn ich hatte eine Bescheinigung, dass ich lungenkrank sei. Komischerweise hat sich das Jahre später bestätigt (Lungen-Sarkoidose). Den Kampf um die Remagener Brücke (verfilmt und auch als Roman erschienen) haben wir von Sinzig aus miterlebt: Damals wären wir in Köln sicherer gewesen! An die Brücke erinnert heute noch ein Museum dort.
Meinen Sie, das Lager-Erlebnis hat Professor Prokop vielleicht damals auch motiviert, in die DDR zu gehen? Weil er gesagt hat: »Die Amerikaner – das war nichts.«
Wenn das mitgespielt hat, dann nur im tiefsten Unterbewusstsein, aber es war ein Trauma, welches von vielen – wie so manches! – einfach verdrängt worden ist und zwar möglichst schnell. Das sogenannte Wirtschaftswunder entstand nicht zuletzt durch den immensen Fleiß von schuldbewussten Menschen, so sehe ich das.
Vielleicht kam bei Prokop dazu, dass er vor den Russen ursprünglich genau so viel Respekt und Furcht hatte, noch aus der Zeit seiner Eltern. Nun war er wieder zwischen den Welten.
Er war in so vielen Welten: Nicht nur West und Ost, Wissenschaft und Praxis, Österreich und Deutschland, Berliner und Rheinländer. Fotograf und Sezierer, Schreiber und Redner und so weiter. Ich glaube aber, dass eine Heimat das wissenschaftliche Denken war, eine Welt, die er sich mit den verschiedensten Geistesgrößen teilen konnte. Seine Mitgliedschaft bei der Leopoldina, das war sein ganzer Stolz, da ließ er auch keine Sitzung aus (in Halle tagte man damals).
Noch etwas Letztes: Prokop hat auch mit Professor Dotzauer in Köln zusammengearbeitet, ein Buch geschrieben gegen Akupunktur und gegen Homöopathie.
Ja, das habe ich nicht verstanden, denn eigentlich konnte er ihn nicht leiden, denn er wusste, dass Dotzauer sich mit ihm schmückte und aufwertete.
Er hat es trotzdem gemacht.
Kann ich erklären. Bei diesen Themen war sein emotionales Engagement so groß, dass ihm beinahe alles recht war, was ihn dabei unterstützen konnte. Da konnte er mit ätzender Kritik nicht zurückhalten. Scharlatanerie war noch ein Kosename.
Das Thema durfte man nicht bringen?
Bitte nicht pro, nur contra! Ebenso ging es rund beim Thema Kirlian-Kamera. Die Vertreter hat er gehasst wie die Pest. Wie alles, was in seinen Augen zur Verdummung der Leute beitragen sollte, damit man ihnen das Geld besser und schneller aus der Tasche ziehen kann.
Haben Sie wirksame Alternativmedizin damals für möglich gehalten?
Nein, denn auch mein Vater hielt nicht viel davon. Das hat sich bei mir später geändert, nicht zuletzt durch die Arbeiten mit dem Mistel-Lektin.
Bei den parawissenschaftlichen Sachen gibt’s immer noch Leute, die sagen: »Was hilft, ist okay.«
Ja, das berühmte: »Wer heilt, hat recht!« Mit diesem Spruch konnte man ihn auf die Palme bringen.
Es stimmt ja auch so
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