Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
bekannt. Bekanntlich gerieten alle Wissenschaftler, die einen hohen Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit der DDR hatten, a priori in den Fokus der Stasi. Das sei beispielhaft an der Person eines Kollegen aus dem Fachbereich Medizin der Universität Rostock erläutert. Professor Klinkmann würde ich salopp als »den Prokop aus Rostock« bezeichnen, weil er – wie dieser – charismatisch und weltoffen war. Er hatte sich als Nephrologe [Nierenkundler] insbesondere auf dem Gebiet der künstlichen Organe rasch internationale Reputation erworben, was sich in mehr als zehn Ehrenpromotionen in Europa, Amerika und Asien, Vorsitzen und Ehrenmitgliedschaften in zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften widerspiegelt. In einem nicht unumstrittenen Verfahren wurde er 1992 aus dem Hochschuldienst in Rostock entlassen. Die Entscheidung der Ehrenkommission war deshalb zu Recht umstritten, weil es naturgemäß nicht möglich war, eine klare Grenzziehung zwischen Anpassung an durch die Stasi streng überwachte Verhaltensregeln eines Wissenschaftlers mit internationalen Kontakten, einem hochschulrechtlich vorwerfbaren Maß an Staatsnähe oder gar einer Zuträgerschaft zur Staatssicherheit zu finden. Allerdings hat Klinkmann im Gegensatz zu Prokop, der den Zusammenbruch der DDR bereits im Ruhestand erlebt hat, wieder seinen Platz im öffentlichen Leben durch vielfältige Aktivitäten im Gesundheitsmanagement und seine Vernetzung in internationalen wissenschaftlichen Gremien gefunden.
Es hat in der DDR nicht sehr viele herausragende Mediziner wie Prokop oder Klinkmann gegeben, die aus Sicht der SED- Führung als »Aushängeschilder« brauchbar waren; schließlich ging es um die Anerkennung des Wissenschaftslandes DDR in den westlichen Ländern. Ob sich der Österreicher Otto Prokop dessen bewusst war, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings habe ich aus meiner Sicht keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass er bei fachbezogenen Fragestellungen bewusste Abreden geführt hat oder Kompromisse eingegangen ist, wie Sie es nennen, die nicht seiner wissenschaftlichen Überzeugung entsprochen hätten. Ich vermute allerdings, dass er mehr Freiräume hatte als andere und die auch genutzt hat.
Er musste wie alle Leiter von universitären Einrichtungen in der DDR in Personalfragen Kompromisse eingehen. Ich kann dazu aus eigener Erfahrung berichten. Ich bin wie jeder Klinikdirektor oder Institutsdirektor bei Amtsantritt 1987 von Stasi-Leuten unaufgefordert aufgesucht worden. Die haben sich dann in etwa so vorgestellt: »Wir sind für Ihre Einrichtung zuständig und erwarten, dass Sie sich bei besonderen Vorkommnissen oder sonstigen Problemen bei uns melden.« Da wurden auch Telefonnummern hinterlassen. In Vorbereitung von Reisen in das »nichtsozialistische Ausland« wurde man als Leiter gezielt von Stasi-Mitarbeitern, die in den Direktoraten für Internationale Beziehungen der Universitäten tätig waren, zur politischen Zuverlässigkeit der Auslandskader befragt: »Hat der Betreffende in der Vergangenheit staatsfeindliche Äußerungen getätigt, sind seine Verhältnisse in Ehe und Familie stabil, können Sie sich persönlich für diesen Mitarbeiter verbürgen?«, et cetera.
Derartige Befragungsprotokolle tauchten nach 1990 in den Stasi-Unterlagen der entsprechenden Mitarbeiter auf. So geriet man als Leiter in die Gefahr, unversehens als »Denunziant« enttarnt zu werden. Wenn man sich zugunsten der Mitarbeiter geäußert und damit die beabsichtigte Reise nicht behindert hat – das ist in meinem Fall so gewesen –, war eben alles gut. Inwieweit überhaupt oder in welchem Umfang Prokop bei Ereignissen wie einer sogenannten Republikflucht im Zusammenhang mit Dienstreisen – bekanntlich ein Straftatbestand gemäß Paragraf 213 StGB der DDR – persönlich gehört oder vernommen worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Alle Gespräche zu Reiseangelegenheiten hatten einen Informationscharakter und waren deshalb immer eine ethische Gratwanderung. Das dürfte auch Otto Prokop so empfunden haben. Kurzum: Ich glaube nicht, dass er über den unvermeidbaren Umfang hinaus mit der Stasi kollaboriert hat.
Das hat er auch nach Aktenlage nicht.
In seinen öffentlichen Auftritten vermied er politische Anspielungen und wirkte sehr auf sich fokussiert. In kleinem Kreis war er offener. Dazu können naturgemäß seine Mitarbeiter viel mehr sagen als ich. Es wurde kolportiert, dass er sich über die »Genossen« in seinem Institut – behutsam
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