Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
hinein und rief: »Amadeus, Amadeus.« Was will er jetzt, fragte ich mich. Er war ja so: Mit gutem Allgemeinwissen konnte man bei ihm punkten. Folglich habe ich gleich einen Einstieg in eine Konversation über den damals viel diskutierten Mozart-Film nach dem Theaterstück von Peter Shaffer gesucht und den mir bereits bekannten Film gewissermaßen rezensiert [der Film stammt aus dem Jahr 1984; die Theaterfassung fußt auf Alexander Puschkins »Mozart i Salieri« von 1830]. Er hat sich das angehört und verabschiedete sich so unvermittelt, wie er gekommen war. Am nächsten Tag sprach mich der Berliner Kollege Gunther Geserick an: »Sag mal, was hast du denn gemacht? Der Prokop wollte mit dir – das passiert sehr selten – ins Kino gehen, und du hast ihm einen Korb gegeben.«
Diese Ungeschicklichkeit hat er mir nachgetragen und mich zum Abschluss meiner Hospitation, die der Anerkennung zum Blutgruppensachverständigen dienen sollte, spüren lassen. Er prüfte mich über Stunden schriftlich und mündlich. Diesen langen Vormittag habe ich noch in unguter Erinnerung, weil ich mich ihm ausgeliefert fühlte. Es war eine Einzelprüfung, die von ihm auch als Einzelperson abgenommen wurde.
Prokop war – nicht nur für mich – das Maß aller Dinge. Es gab für diese Prüfungsprozedur keinerlei Vorschriften. So wurde ich Blutgruppengutachter »von Prokops Gnaden«. Bei allen Irritationen: Er hat mich auch als Gutachter meiner Habilitationsschrift fair beurteilt.
Wann war denn das?
Das war 1987, bevor ich Professor wurde. Vor meinem Chef, Professor Haferland, der kurze Zeit auch im Berliner Institut gewesen ist und dem hochrangige politische und MfS-Verbindungen nachgesagt wurden, soll Prokop Angst gehabt haben. Diese Ängstlichkeit und Unsicherheit im Kleinen war für mich nicht erklärlich und erschien mir deshalb fast anankastisch [zwanghaft]. Ich glaube, darin liegt auch der Grund, dass er Ihnen und der Journalistin den Panzerschrank mit den Akten geöffnet hat: Einerseits wollte er Rede und Antwort stehen, andererseits Ärger vermeiden nach dem Motto: »Man weiß ja nicht, was passieren kann.«
Haben Sie jemals erlebt, dass er sich ans Radio gesetzt, es aufgedreht und dann nur neben dem Radio mit Ihnen gesprochen hat? Das hat er bei mir bis zuletzt gemacht, wegen der Mikrofone.
Ja, das hab ich auch erlebt. Zwei, drei Mal ist es so gewesen.
Fanden Sie das komisch?
Ich fand’s albern, einfach albern. Man konnte sich diesem Überwachungssystem ohnehin nicht entziehen.
Er war sicherlich auch von Mitarbeitern umgeben, die wortgenau irgendwelche Äußerungen weitergeleitet haben. Vielleicht noch ein Aspekt: Es schien mir so, als verhielte er sich clownesk, um sich weniger angreifbar zu machen. Seine Verhaltensstrategien waren facettenreich.
Meinen Sie mit »clownesk« das Fliegetragen?
Nein, das war eher seine Eitelkeit. Auch hierzu ist eine Episode zu benennen. Wir warteten auf den Einlass in ein Restaurant im Rahmen eines Gerichtsmediziner-Kongresses in Halle. Einer erkundigte sich nach freien Plätzen, da man ihn wegen seiner schwarzen Fliege für den verantwortlichen Oberkellner hielt. Das hat ihn zunächst irritiert. Nachdem er erneut auf einen freien Tisch angesprochen wurde, hat ihn das diebisch gefreut, und er hat es überall erzählt. Ja, ich denke, manchmal war er clownesk.
Viele haben gesagt, dass er den Schalk im Nacken hatte, Hahn im Korb war und so weiter. Wovor, glauben Sie, hatte er Angst? Vor dem Hetzel-Fall beispielsweise?
Das ist ja nun so oft veröffentlicht worden.
War der Fall Hetzel aus Ihrer Sicht vielleicht doch auch ein politisch gestütztes Ost-West-Ding? Oder ging es eher um Eitelkeit gegen Eitelkeit?
Ich vermute, dass es Eitelkeit gegen Eitelkeit war. Letztendlich konnten die Ergebnisse der »Ziegelsteinversuche« kein Beweismittel im strafrechtlichen Sinne sein. Es stand Hypothese gegen Hypothese. Allerdings habe ich feingewebliche Bilder des Myokards [zur Frage des plötzlichen Herztodes] nicht gesehen.
Uns ist aufgefallen, dass Prokop öfter mit anderen zusammen Bücher geschrieben hat.
Ich glaube, er hat geschaut, was könnte ihm nutzen und wo könnte er Fähigkeiten und Kenntnisse Dritter abschöpfen. Das ist legitim und entspricht dem heutigen Begriff »Netzwerk«. Bei mir war eben nicht viel zu holen.
Hat er denn weiter Beziehungen zu Ihnen gehabt? Uns hat er erzählt, dass er quasi alle Prüfungen in der ganzen DDR gemacht hat und rumgereist ist, er ganz allein.
Das ist
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