Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
nur teilweise richtig. Also, wo Prokop war, war ansonsten nichts. Und auch bei Prüfungskommissionen hat er ganz eindeutig den Gang der Dinge beeinflusst. Die Prüfungen fanden in der Regel am Rande der Vorstandssitzungen statt; bei den Vorstandssitzungen der Gesellschaft für gerichtliche Medizin der DDR waren dann vier, fünf Ordinarien ohnehin vor Ort. Ich bin 1973 zum Beispiel in Halle bei Professor Simon im Institut geprüft worden. Wenn Prokop seine Frage »bedeutungsschwer« formuliert hatte, nickten alle anderen Kommissionsmitglieder geflissentlich. Ich hab das als peinlich empfunden.
Das war die Facharztprüfung?
Ja, die Facharztprüfung. Vor der Fragerunde hatte man noch einen Kurzvortrag zu einem vorgegebenen Thema zu halten. Ich war sofort fertig; bei meinem Rostocker Kollegen hat es zweieinhalb Stunden gedauert.
Eine gewisse Eigenständigkeit ließ sich in solchen Situationen bei Professor Dürwald aus Leipzig erkennen. Er erschien eher zurückhaltend und mehr der Sache als einer Person verpflichtet.
Prokop war immer im Vorstand und automatisch Vorstandsvorsitzender?
Natürlich nicht. Der Vorsitz wechselte nach einem in einer Satzung vorgegebenen Zyklus. Irgendwie war er aber immer in irgendeinem Vorstand. Viele Kollegen meiner Generation haben ihn bewundert; da kann und will ich mich keineswegs ausnehmen. Nach erfolgter Facharztprüfung stand nicht nur bei mir die Frage des Verbleibens oder des Überwechselns in die Forensische Psychiatrie oder Pathologie. Die Gallionsfigur Otto Prokop hat wesentlich dazu beigetragen, das Fach nicht zu wechseln.
War denn sein echtes Wirken, unabhängig von diesem strukturellen Wirken, irgendwie erkennbar? Dass es hieß: Da schauen wir auf jeden Fall mal in seinem Buch nach oder da rufen wir auf jeden Fall in Berlin an oder da lassen wir noch mal die Berliner rübergucken?
Die praktische Fallarbeit haben wir alleine oder in Konsultation mit den Fachkollegen aus der Medizinischen Fakultät Rostock erledigt. Ich hatte eigentlich auch kaum Entscheidungskonflikte oder zumindest keine erkannt, bei denen ich Professor Prokop hätte beiziehen müssen. Ich habe seine Lehrbücher mit Vergnügen und Gewinn gelesen. Wenn ich die heutigen standardisierten Lehrbücher mit den Merkkästchen lese, sehe ich da wenig Kreativität! Heute sind die Bücher gefragt, die Fragenkataloge im Sinne der Facharztprüfungen oder zertifizierter Fortbildungen abbilden. Prokop hat in seiner Diktion sein Lehrbuch geschaffen. Er hat seine akademische, wissenschaftliche Sichtweise in das Fachgebiet Gerichtliche Medizin, wie es ja damals hieß, hineingetragen. Mich hat das beeindruckt.
Dass er einen eigenen Stil und eine eigene Sichtweise hatte?
Einen eigenen Stil. Er war schon irgendwie Generalist. Allerdings bin ich mir im Nachhinein nicht mehr ganz so sicher, ob nicht bestimmte Publikationen wie der »Medizinische Okkultismus« oder Beiträge wie zum Beispiel zum Hellseher Hanussen, die sein eigenes Fachgebiet überhaupt nicht betrafen, auch einer fortwährenden Publizität dienen sollten. Er hat sich auch über Goethes wissenschaftliche Exkursionen abfällig geäußert, die Farbenlehre und seine morphologischen Untersuchungen. Das stand ihm meines Erachtens nicht zu.
Er hat ja unglaublich viel gearbeitet über die Ablehnung von insbesondere Akupunktur und Homöopathie. Haben Sie das als Flause erlebt?
Nein.
Als was Wichtiges?
Es war ihm ein Anliegen. Wissenschaftlicher Schwindel war ihm zuwider. Wissenschaftlichkeit bedeutet Kausalität. Die Phänomenologie der Rechtsmedizin und überhaupt der Humanmedizin erwächst aus morphologischen Strukturen.
Wenn man so will, hat er die alte Virchowsche Denkweise in das Fach hineingetragen. Ich bin ja auch so ausgebildet worden. Der Paradigmenwechsel hin zu psychosomatischen Phänomenen – nennen wir beispielhaft die Immunreaktionen – war seiner Denkweise vermutlich fremd.
Aha!
Er hat sich als Streiter für die wahre Wissenschaft empfunden und mithin Homöopathie und Akupunktur polemisch der Scharlatanerie zugeordnet.
Verstehe.
Jetzt sind wir wieder bei seiner Eitelkeit. Er war sich so wichtig, dass er das sehr oft thematisiert hat, auch in essayistischen Beiträgen.
Er hat sich bekanntlich auch mit Todesfällen berühmter Persönlichkeiten der Geschichte – insbesondere Mozart – auseinandergesetzt, einen eigenen Standpunkt entwickelt und den auch konsequent vertreten.
Professor Uhlenbruck hat eine interessante Bemerkung gemacht zu
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