SGK236 - Die Mordwespen des Dr. X
Ungewißheit und die Erschöpfung trieben ihr
immer wieder Tränen in die Augen.
Sie warf keinen einzigen Blick auf den Stock, den sie in der Hand
hielt und mit dem sie sich immer wieder abstützte, um ihren eigenen Lauf zu
erleichtern.
Zwei, drei Wespen umsummten sie und den Stock, flogen ihn
schließlich an, landeten auf der klebrigen Schicht und begannen dort wie
verrückt einen Tanz ständig um ihre eigene Achse.
Doch das sah Sioban O’Hara nicht, und sie registrierte auch nicht,
wie die Wespen rasch nach oben zum Stockgriff krochen, wo ihre Hand lag und
sich ebenfalls Spuren der fein verteilten, klebrigen Masse befanden .
*
Morna Ulbrandson, die im Sanatorium nur als Diana Mitchell bekannt
war, erledigte wie immer die ihr aufgetragenen
Arbeiten.
Sie war verantwortlich für die Krankenberichte, für die Akten, die
zur regelmäßigen Bearbeitung und Überwachung auf dem Schreibtisch ihres Chefs
zu liegen hatten und in Verbindung zum Personal des Labors und der
Therapieräume bearbeitet wurden, um bestimmte Vorgänge zu koordinieren.
Dr. McClaw hatte im Lauf seiner langjährigen Tätigkeit einige
Eigenheiten eingeführt, die wohl in keinem Sanatorium der Welt zum Zug kamen.
Er mußte aus finanziellen Gründen nicht nur sein Personal auf ein
Minimum beschränken, sondern auch mit den vorhandenen Gegebenheiten räumlich
und therapeutisch fertig werden.
Jeder Mitarbeiter war mehr als ein Spezialist, er konnte in vielen
Bereichen eingesetzt werden.
Der einzige, der jedoch alles zu überschauen schien und jederzeit
wußte, wie es um einen Patienten wirklich stand, war Roderick McClaw, dem dieses
Privatsanatorium bereits seit zwanzig Jahren gehörte.
Die Fachwelt bescheinigte ihm in der Tat, daß er auf vielen
Gebieten ein Neuerer gewesen war, daß unter seinen Fittichen sogar als
unheilbar und aussichtslos geltende Fälle wie durch ein Wunder eines Tages
geheilt werden konnten.
Es war nicht daran zu zweifeln - auch diesen Eindruck mußte Morna
Ulbrandson uneingeschränkt anerkennen - daß Dr. McClaw für die Menschen, die
ihm anvertraut waren, alles tat. Er nahm sich für jeden Zeit, er war für jeden einzelnen da.
Doch Morna war es aufgefallen, daß während der letzten vier, fünf Tage eine merkliche Veränderung mit Dr. McClaw vorgegangen
war. Er wirkte nervös, unruhig, obwohl er versuchte, sich das nicht anmerken zu
lassen.
Er stand unter einer gewaltigen Spannung, die ihn vollauf
forderte.
Immer wieder sprach er gerade an diesem Tag von Mathew Wilkins,
ohne jedoch die Entscheidung herbeizuführen, die die Polizei miteinbezogen
hätte. Er wollte es einfach allein schaffen.
Den ganzen Tag waren alle Mitarbeiter auf der Suche, um Mathew
Wilkins zu finden.
Der Park wurde Meter für Meter durchgekämmt, und auch einige
Patienten, denen man eine solche Tätigkeit zumuten konnte, waren aufgefordert,
mitzusuchen und die Augen offen zu halten.
Richard Hoggart, Wilkins’ Zimmerkollege, von dem man eigentlich
erwartet hatte, daß er einen Hinweis gab, schwieg weiterhin beharrlich.
Dumpf vor sich hinbrütend saß der Mann den ganzen Tag über in
seinem Zimmer oder draußen auf einer Bank, spielte mit seinen Fingern und hob
nicht mal den Blick, wenn jemand an ihm vorüberging.
McClaw hatte seine quirlige Assistentin Diana beauftragt, Richard
Hoggart an diesem Tag nicht aus den Augen zu lassen. Er wollte über sein
Verhalten genauestens unterrichtet sein, weil sich offensichtlich wieder
Symptome äußerten, die eigentlich im Krankheitsbild des Mannes gar nicht
auftreten durften.
Hoggart war eher ein mitteilsamer, kontaktsuchender Mensch, der
sich einbildete, verfolgt zu werden, und deshalb traten zu unbestimmten Zeiten
immer wieder Angstsituationen auf, in denen er meinte, daß ihn irgend jemand
bedrohte.
Er versuchte, diese Psychose durchaus zu kompensieren, daß er sich
möglichst viele Freunde und Bekannte hielt, um durch sie praktisch beschützt zu
werden, wenn es für ihn unerwartet gefährlich werden sollte.
Morna passierte den breiten Korridor mit den erdfarbenen Platten
und ging auf Richard Hoggart zu, der gedankenversunken in einer Fensternische
saß und in den Park starrte, ohne vermutlich etwas wahrzunehmen. Morna sprach
den Mann an.
»Wie geht es Ihnen, Richard? Sie machen heute ein so bedrücktes
Gesicht. Das gefällt mir gar nicht .«
Hoggart blieb unbeweglich sitzen. Er schnalzte mit den
Fingernägeln und nagte an der Unterlippe, als wälzte er ein ungeheures Problem.
»Haben
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