Shades of Grey - Geheimes Verlangen: Band 1 - Roman (German Edition)
Anonymität. Obwohl die Bühne noch leer ist, flattern meine Nerven. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und meine Atemzüge sind hektisch und flach. Er muss hier irgendwo sein. Vielleicht ist Kate ja gerade bei ihm und nimmt ihn wegen gestern Abend in die Mangel. Ich bahne mir einen Weg durch die Stuhlreihen der Studenten, deren Nachname ebenfalls mit S anfängt, und stelle fest, dass ich in der zweiten Reihe sitze – noch mehr Anonymität. Ich werfe einen Blick über die Schulter, sehe Ray in einer der oberen Reihen auf der Tribüne sitzen und winke ihm zu. Verlegen hebt er die Hand zu einem Gruß – halb Winken, halb Salut. Ich setze mich.
Der Saal füllt sich schnell, und das Stimmengewirr schwillt mit jeder Minute weiter an. Nach einer Weile sind fast alle Plätze in der ersten Reihe besetzt. Links und rechts von mir sitzen zwei Mädchen aus einer anderen Fakultät, die über meinen Schoß hinweg plaudern.
Um Punkt elf Uhr betritt der Rektor die Bühne, gefolgt von drei Stellvertretern und den dienstältesten Professoren, allesamt in schwarz-roten Talaren. Wir erheben uns und applaudieren. Einige der Professoren nicken und winken, andere scheinen das Ganze sterbenslangweilig zu finden. Professor Collins, mein Tutor und Lieblingsprofessor, sieht wie immer aus, als wäre er
gerade erst aus dem Bett gefallen. Als Letztes betritt Kate die Bühne, gefolgt von Christian, der in seinem grauen Anzug aus der Schar der Talarträger deutlich hervorsticht. Einzelne Strähnen seines dichten Haars leuchten kupferrot im Scheinwerferlicht der Aula. Er sieht so ernst und souverän aus. Als er sich setzt und sein einreihiges Sakko aufknöpft, erhasche ich einen Blick auf seine Krawatte. O Mann … diese Krawatte! Reflexartig massiere ich mir die Handgelenke und versuche vergeblich, den Blick von ihm zu lösen. Bestimmt trägt er sie mit Absicht. Ich presse die Lippen aufeinander. Die Anwesenden nehmen Platz, und der Beifall verebbt.
»Sieh ihn dir bloß an!«, zischt das eine Mädchen neben mir ihrer Freundin zu.
»Er ist so was von heiß!«
Ich versteife mich. Damit ist garantiert nicht Professor Collins gemeint.
»Das muss Christian Grey sein.«
»Ist er eigentlich Single?«
Ich schäume vor Wut. »Ich glaube nicht«, sage ich leise.
»Oh.« Die beiden sehen mich verblüfft an.
»Ich glaube, er ist schwul«, füge ich hinzu.
»Was für eine Verschwendung«, stöhnt die eine.
Als sich der Rektor erhebt und ans Podium tritt, sehe ich, wie Christian unauffällig den Blick durch den Saal schweifen lässt. Ich rutsche tiefer auf meinem Stuhl und ziehe den Kopf ein, um mich möglichst unsichtbar zu machen. Was mir jämmerlich misslingt, denn eine Sekunde später hat er mich entdeckt und starrt mich an. Seine Miene ist ausdruckslos, verrät nichts von dem, was in ihm vorgeht. Unbehaglich rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her und spüre, wie ich unter seinem hypnotischen Blick rot werde. Unwillkürlich kommt mir mein Traum von heute Morgen in den Sinn, und ich spüre wieder dieses lustvolle Ziehen im Unterleib. Ich ziehe scharf den Atem ein. Der Anflug eines Lächelns erscheint auf seinen Zügen, verfliegt
jedoch sofort wieder. Für eine Sekunde schließt er die Augen, und als er sie wieder öffnet, ist seine Miene so ausdruckslos wie zuvor. Er wirft dem Rektor einen Blick zu, dann starrt er stur geradeaus auf das WSU-Wappen, das über dem Eingang hängt.
Wieso sieht er mich nicht mehr an? Hat er es sich anders überlegt? Eine Woge des Unbehagens erfasst mich. Vielleicht ist unser kurzes Intermezzo ja für ihn beendet, weil ich gestern Abend einfach gegangen bin. Er ist es leid, auf meine Entscheidung zu warten. O nein, ich habe das Ganze komplett an die Wand gefahren. Ich denke an seine Mail von gestern Abend. Vielleicht ist er ja sauer, weil ich nicht darauf geantwortet habe.
Unvermittelt brandet Applaus auf. Miss Katherine Kavanagh hat die Bühne betreten. Der Rektor nimmt Platz, während Kate ihr Haar zurückwirft und ihre Unterlagen auf dem Podium zurechtlegt. Sie lässt sich alle Zeit der Welt, scheinbar völlig unbeeindruckt davon, dass die Blicke von tausend Menschen auf sie gerichtet sind. Sie lächelt der Menge zu, die sie wie gebannt beobachtet, und legt los. Sie ist völlig entspannt und witzig, und wie auf ein Stichwort brechen die Mädchen links und rechts von mir gleich beim ersten Scherz in Gelächter aus. Oh, Katherine Kavanagh, du weißt genau, wie man eine Pointe bringt . Ich bin so unglaublich
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