Shadow Falls Camp - Entführt in der Dämmerung: Band 3 (German Edition)
stellst das Wohl anderer über dein eigenes.«
Kylie hatte es noch nie so betrachtet, und sie nahm an, dass Holiday irgendwie recht hatte, aber … »Ich bin aber keine Heilige«, stellte Kylie trotzig fest. »Ich sündige die ganze Zeit.«
Holiday sah sie verdutzt an. »Wie bitte?«
Kylie betrachtete für einen Moment ihre Zehen. Ihr rosa Nagellack blätterte ab, und so ähnlich fühlte sich ihr Selbstvertrauen gerade auch an. Dann hob sie den Blick und beschloss mit der Wahrheit herauszurücken. »Miranda hat gemeint, Protectoren wären wie Heilige. Aber ich bin keine Heilige, und ich will auch keine sein. Ich will nur ein normales Leben leben. Ich will Spaß haben.« Sie dachte an Lucas und den Kuss und wurde rot. »Vielleicht will ich auch ein bisschen sündigen.«
Holiday grinste.
Kylie blieb ernst. »Du weißt schon, was ich meine. Ich will so leben wie jede andere Sechzehnjährige. Ich will mit meinen Freunden über dreckige Witze lachen, vielleicht ab und zu ein bisschen Alkohol trinken – wenn er nicht nach Hundepisse schmeckt – und ein bisschen betrunken sein. Natürlich würde ich dann kein Auto mehr fahren oder so.«
Holiday grinste, und Kylie nahm an, dass die Fee Kylies Gefühle gelesen hatte und wusste, was sie sonst noch so wollte.
Und mit wem sie das tun wollte.
»Ein Protector zu sein heißt nicht, dass du eine Heilige sein musst«, erklärte Holiday. »Es heißt, dass du eine Person bist, die sich um andere kümmert. Du musst deshalb aber nicht auf Jungs verzichten.«
Kylies Gesicht glühte. »Also, das sind die besten Neuigkeiten, die ich heute bekommen habe.«
Holiday lachte wieder. »Wie läuft es denn gerade so mit den Herren der Schöpfung?«
»Besser. Nicht perfekt«, antwortete Kylie und dachte an Lucas’ Reaktion auf ihre Geisterprobleme und die Sache mit seinem Rudel.
»Besser ist doch schon mal was«, erwiderte Holiday. »Derek hat mich vorhin schon angerufen und nach dir gefragt. Er meinte, er hätte das mit dem Friedhof gehört. Hast du ihn mal getroffen?«
»Nicht so wirklich.« Kylie schluckte. Sie hatte keine Lust, über ihn zu reden, weil sie dann in Versuchung kommen würde, Holiday von Dereks plötzlicher Über-Sensibilität gegenüber ihren Gefühlen zu erzählen. Wenn jemand etwas darüber wissen konnte, dann nur Holiday. Aber wenn sie ehrlich war, musste Kylie sich eingestehen, dass es nicht ihr Problem war. Nicht, wenn es Derek nicht wichtig genug war, seinen Stolz zu vergessen und selbst um Rat zu fragen.
Die nächste Stunde verbrachten sie auf der Veranda und genossen den leichten Wind, der nicht wirklich Kühlung brachte, aber trotzdem angenehm war. Sie redeten über Lucas und Derek. Kylie fragte Holiday, ob Burnett irgendetwas Neues von den Brightens wusste, dass er ihr noch nicht erzählt hatte.
Holiday versicherte ihr, dass Burnett ihr nichts verheimlichte.
»Hast du mal mit deinem Stiefvater gesprochen?«, fragte Holiday nach einer kurzen Pause.
»Nicht seit ich zurück bin«, gestand Kylie. »Aber ich hab eine E-Mail von ihm bekommen, und ich wette, er plant, am Elterntag zu kommen.«
»Aber du möchtest nicht, dass er kommt, stimmt’s?«
»Ach, ich weiß nicht. Ich war schon fast so weit, ihm zu verzeihen. Aber als er versucht hat, mich zu benutzen, um wieder bei meiner Mutter zu landen – mit dem Satz ›Kylie hätte gern, dass wir alle zusammen essen gehen‹ –, da ist mir wieder eingefallen, wie sauer ich noch auf ihn war, dass er uns verlassen hat.«
»Also hast du ihm noch nicht verziehen?«
»Vielleicht habe ich ihm verziehen, aber ich hab es noch nicht vergessen.«
»Der Haken ist aber, dass die beiden Sachen zusammengehören. Also, nicht so, dass du es wirklich vergisst, aber dass du akzeptierst, dass es passiert ist, und darüber hinwegkommst. Jeder macht Fehler, niemand ist perfekt.«
»Und was, wenn ich es nicht kann?« Kylie beobachtete eine Biene, die an ihr vorbeiflog. »Was, wenn ich ihm nie wirklich verzeihen kann?«
»Dann musst du loslassen.«
Kylie erinnerte sich daran, wie sie ihren Vater umarmt hatte, als er sie das letzte Mal besucht hatte. Er hatte ihr gesagt, es tue ihm leid. Und obwohl es schwer und auch schmerzvoll gewesen war, ihn zu umarmen, hatte es sich doch richtig angefühlt. Sie war nicht bereit, ihn ganz loszulassen. Es würde ihr zu sehr wehtun.
Sogar noch mehr, als die Wahrheit zu akzeptieren.
Sie fragte sich, ob so die Entscheidung fiel, ob man jemandem vergeben konnte oder nicht. Wenn es
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