Shadow Falls Camp - Erwählt in tiefster Nacht: Band 5 (German Edition)
wenn sie ihn hier fütterten, bedeutete das doch, dass es eine Tür ins Haus geben musste. Ob sie unverschlossen war, war dann die nächste Frage.
Kylie sah sich in dem kleinen Raum um und entdeckte die Haustür auf der gegenüberliegenden Seite. Sie tätschelte dem Hund den Kopf.
Vielen Dank.
Sie stand auf und ging darauf zu. Der Drehknauf ließ sich geräuschlos drehen. Kylie atmete erleichtert auf und verspürte ein Gefühl des Triumphs. Der Fluchtweg war gesichert. Natürlich machte sie sich nichts vor, der schwerste Teil stand ihr noch bevor: ihre Mom zu finden und mit ihr zusammen aus dem Haus zu entkommen.
Lebendig zu entkommen.
Das Schwert schien in ihrer Hand zu vibrieren, als wollte es sie daran erinnern, dass ihre Aufgabe heute keine leichte werden würde. Heute würde sie die Waffe einsetzen, und es war kein Training. Es war echt.
Zunächst dachte Kylie, dass im Haus alle schliefen. Sie durchquerte eine große Küche und gelangte dann ins Wohnzimmer, das mit einem riesigen Kamin ausgestattet war. Der Raum schien der Mittelpunkt des Hauses zu sein. An beiden Seiten ging eine Tür ab. Die eine stand offen und führte auf einen Flur, an dessen Ende sie Licht sah. Sie hörte Stimmen. Auf Zehenspitzen schlich sie den Gang entlang und lauschte, ob sie die Stimme ihrer Mutter erkannte.
Eine Stimme war deutlich zu erkennen: John. Dann erkannte sie eine zweite Stimme, und es lief ihr eiskalt den Rücken runter. Mario.
Eine weibliche Stimme war nicht zu hören. Kurz überlegte sie, wie sie weiter vorgehen sollte, entschied sich dann aber dafür, ihre Mom zu suchen. Da es mitten in der Nacht war, schlief ihre Mutter höchstwahrscheinlich. Kylie ging zur anderen Tür des Wohnzimmers, hinter der sie auch einen Flur vermutete. Wahrscheinlich war dort auch das Schlafzimmer.
Der erste Raum, den sie betrat, war offenbar das Gästezimmer. Kylie hoffte, ihre Mom darin zu finden, doch das Zimmer lag totenstill und leer vor ihr.
Kylie ging zurück auf den Gang und sah eine weitere Tür. Sie vermutete, dass sich dahinter das Schlafzimmer befand. Irgendwie wusste sie, dass ihre Mom dort schlief.
Sie hatte mit John geschlafen.
Der Feind im eigenen Bett.
Aber Kylie konnte sie retten. Sie umklammerte das Schwert und drückte sachte die Klinke runter.
Im Bett erkannte sie die vertrauten Umrisse ihrer Mutter. Eine kleine Schirmlampe erhellte das Zimmer spärlich. Kylie dachte daran, wie sie als Kind nachts öfters zu ihrer Mom ins Schlafzimmer gekommen war, weil sie Albträume gehabt hatte oder weil sie wegen einer verstopften Nase nicht mehr schlafen konnte. Ihre Mutter war nicht ein einziges Mal wütend geworden. Sie war vielleicht nicht so gut darin, ihre Gefühle zu zeigen, aber sie war immer für Kylie da gewesen. Der Streit, den Kylie mit ihr wegen der Sache mit den Brightens gehabt hatte, erschien ihr plötzlich völlig unwichtig.
Kylie machte sich sichtbar und trat ans Bett heran. »Mom?«, flüsterte sie.
Ihre Mom regte sich nicht, und Kylie bekam schon Panik, doch da sah sie, wie sich der Oberkörper ihrer Mutter beim Atmen hob und senkte.
Auf dem Nachttisch entdeckte Kylie ein Weinglas. Im schwachen Licht des Lämpchens meinte Kylie, winzige Flecken im Glas und eine seltsame Schicht auf dem Boden des Glases auszumachen. Sie hielt das Weinglas gegen das Licht. Sie hatte den Eindruck, dass etwas anderes als nur Wein im Getränk ihrer Mutter gewesen war – etwas wie zerdrückte Pillen. Hatte John ihre Mutter unter Drogen gesetzt?
Sie stellte das Glas wieder ab, und eine Welle von Beschützerinstinkt durchströmte sie. Wieder beugte sie sich zu ihrer Mutter hinab. »Mom!«, flüsterte sie.
Ihre Mutter bewegte sich ganz leicht.
Kylie fasste sie an der Schulter und schüttelte sie sanft. »Mom, du musst aufwachen.«
Ihre Mom schlug die Augen auf. »Kylie? Was machst du …?« Sie schaute sich verwirrt um. Kylie fragte sich, ob es an ihrer Schlaftrunkenheit oder an den Drogen lag. »Wo ist …«
»John?«
Kylie atmete tief ein. Ihr fiel jetzt erst auf, dass sie sich noch gar nicht überlegt hatte, was sie ihrer Mom eigentlich erzählen wollte. Doch jetzt war keine Zeit mehr, sich noch was Cleveres einfallen zu lassen. Also musste sie es wohl oder übel mit der Wahrheit versuchen.
War es an der Zeit, ihre Mom in alles einzuweihen? Würde sie damit umgehen können? Oder sollte sie es erst mal mit einer Halbwahrheit versuchen?
»John?«, rief ihre Mom.
Kylie legte ihr schnell den Zeigefinger auf die
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