Shadow Falls Camp - Geboren um Mitternacht: Band 1 (German Edition)
etwas aus ihrem Mund gekommen, jedenfalls gingen ihr gerade dieselben Dinge durch den Kopf. Sie schnappte nach Luft und schaute zu Holiday, die sie mit ihren sanften grünen Augen ansah.
»Alles ist gut«, beruhigte Holiday sie alle. »Perry, verwandle dich wieder zurück.«
Kylie ließ ihren Kopf auf die kalte Platte der Schulbank fallen und konzentrierte sich nur aufs Atmen. Sobald sie anfing nachzudenken, würde sie losheulen, und das Letzte, was sie vor all diesen Leuten wollte, war, Schwäche zu zeigen. Verdammt, hier wurden die Schwachen wahrscheinlich zum Abendessen serviert.
»Ihr solltet jetzt lieber gehen, Leute.« Holidays Stimme klang nun autoritär.
Kylie zählte bis zehn und raffte sich dann auf. Die Tische um sie herum waren leer. Perry, der wieder seine alte Form angenommen hatte, und die anderen verließen gerade das Klassenzimmer. Perry warf Kylie noch einen kurzen Blick über die Schulter zu. Seine braunen Augen, die jetzt ganz normal wirkten, schauten sie beinahe entschuldigend an.
Kylie erinnerte sich an Holidays Anweisung und stand auf, um ebenfalls das Zimmer zu verlassen. Wenn sie nur hier rauskäme, könnte sie vielleicht einen ruhigen Ort finden, an dem sie ihre Gefühle rauslassen konnte. Wo sie weinen und versuchen könnte, damit klarzukommen, dass … Nein, jetzt nicht daran denken. Noch nicht. Sie schluckte ein paar Tränen hinunter, die in ihr emporsteigen wollten. Ihre Nase kribbelte.
»Wo willst du denn jetzt hin?«, fragte Holiday.
Kylie sah zu ihr zurück. Es tat weh, mit dem Kloß im Hals zu sprechen, der zwischen ihren Mandeln zu stecken schien. »Du hast doch gesagt, wir sollen gehen.«
»Sie sollen gehen. Du sollst bleiben.«
»Warum?« Ein Schleier schob sich über ihre Augen, und hilflos musste Kylie feststellen, dass sie es nicht aufhalten konnte. Die Tränen waren da. Warum? Die Frage schwirrte durch ihr verwirrtes Hirn und zog weitere Fragen nach sich. Warum passierte all das? Warum stand sie schon wieder allein da? Warum liebte ihre Mutter sie nicht? Warum hatte ihr Vater sich von ihr abgewendet? Warum hatte Trey ihr nicht ein bisschen mehr Zeit geben können? Warum taten all diese Psychos hier so, als sei sie die Verrückte?
Sie blinzelte ein paar Tränen weg und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. »Warum?«, fragte sie noch einmal. »Warum bin ich hier?«
Holiday setzte sich an den Nachbartisch. »Du hast eine Gabe, Kylie.«
Kylie schüttelte den Kopf. »Ich will aber gar nicht besonders sein. Ich will doch nur ich selbst sein – ganz normal. Und … und wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass hier ein großer Irrtum vorliegt. Weißt du, ich habe gar keine Gabe. Ich … ich kann mich nicht in etwas verwandeln. Ich bin in nichts wirklich gut, aber auch in nichts wirklich schlecht. Außer vielleicht in Mathe. Sport ist gar nicht mein Ding, und ich bin nicht super begabt oder intelligent. Und ob du es mir glaubst oder nicht – ich finde das gut so. Ich finde es nicht schlimm, durchschnittlich zu sein … oder normal.«
Holiday lachte. »Es gibt keinen Irrtum, Kylie. Ich kann aber sehr gut verstehen, wie es dir geht. Mir ging es genauso, als ich so alt war wie du. Und besonders, als ich die Wahrheit erkannt habe.«
Kylie wischte sich übers Gesicht, damit Holiday ihre Tränen nicht sah, und zwang sich dann, die Frage zu stellen, die sie die ganze Zeit versucht hatte aus ihren Gedanken zu verdrängen. »Und was bin ich?«
9. Kapitel
»Kannst du mit der Wahrheit umgehen?«, fragte Holiday vorsichtig und voller Mitgefühl.
Damit umgehen? Ich habe gerade zugesehen, wie sich ein Junge in ein Einhorn verwandelt hat. Kann es denn noch schlimmer werden?
Als sie das dachte, lief Kylie ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Was, wenn es doch schlimmer werden könnte? Holiday hatte gesagt, es gäbe noch andere übernatürliche Wesen außer Vampiren und Werwölfen, die für Kylie schon die schlimmsten sein müssten, auch wenn sie sich da nicht so auskannte. Aber was, wenn Holiday das nur gesagt hatte, um sie zu beruhigen? Hatte sie etwa gelogen?
»Ja, ich kann damit umgehen«, sagte Kylie mit fester Stimme und klang dabei stärker, als sie sich tatsächlich fühlte.
Aber als Holiday gerade anfangen wollte zu sprechen, brach es aus Kylie heraus. »Nein.« Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, schaute wieder hoch und starrte die rothaarige Campleiterin an. »Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen kann.«
Wie konnte sie es, wenn es einfach
Weitere Kostenlose Bücher