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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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Dank. Ach, wie sind Sie denn hergekommen? Oh, ich wurde von einer großen Verbrecherorganisation entführt, die dann Experimente an mir durchgeführt und mich mit Folter und lebenslanger Einkerkerung bedroht hat. Und Sie? United Airlines? Wie schrecklich!
    »Ich bin schon zum dritten Mal hier«, sagte die Frau. »Fred und ich können uns an der Landschaft einfach nicht sattsehen.«
    »Oh«, erwiderte Elena. »Das ist ja schön.«
    »Ja«, stimmte die Frau ohne den leisesten Hauch von Arroganz zu. Die Leute vor ihnen schlurften weiter. Der Mann neben ihr, Fred, zog an ihrem Ärmel. Er berührte sie kaum, aber diese kurze Geste wirkte wie ein Schlag mit einem Baseballschläger. Sie stolperte und stürzte schwer gegen Elena. Die beiden Frauen fielen zu Boden, während im gleichen Augenblick etwas an der Stelle durch die Luft zischte, an der Elena eben noch gestanden hatte.
    Sie bildete es sich nicht ein. Aus dem Augenwinkel sah sie einen kleinen eisernen Pfeil auf dem Seesack eines Soldaten, der aus der billigeren Abteilung des Rossiya ausgestiegen war. Falls der junge Mann den Einschlag gespürt hatte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er ging weiter und wollte gerade wieder in den Zug steigen.
    Artur packte Elena unter den Armen und zog sie vom Boden hoch. Die Amerikanerin, der ihr Mann hochhalf, entschuldigte sich für ihre Ungeschicklichkeit. Elena hörte kein Wort. Sie war vollkommen damit beschäftigt, durch die Menge hindurch auf den stillen Mann zu starren.
    Womit er auch auf sie geschossen haben mochte, jetzt hatte er es wieder eingesteckt. Er stand kaum zehn Meter von ihr entfernt, ein Mann unter hundert, und sein Blick ruhte scharf und durchdringend auf Elenas Gesicht. Sie hob in einem Anfall von Wahnsinn die Hand, mit der Handfläche nach außen, und schüttelte die Finger.
    Erinnern Sie sich daran?, fragte sie lautlos. Sie verließ sich darauf, dass er ihr von den Lippen ablas. Er lächelte und legte die Hand auf sein Herz, als empfinge er eine Wohltat. Offenbar hatte er sich von seiner Todeserfahrung längst erholt. Elena war mehr als bereit, die nächste Runde einzuläuten und ihn zurechtzustutzen. Oder auch unter die Erde zu bringen, falls sie so weit kam. Angst empfand sie nicht. Sie war eine Ein-Frau-Armee. Ihr Herz schlug in ihren Ohren laut und dröhnend, wie eine Trommel. Ich kann es tun. Ich kann es zu Ende bringen. Gib mir nur eine Chance.
    Das waren hässliche, mörderische Gedanken. Aber hier ging es ums Überleben, und eines hatte sie gelernt, seit sie aus dem Krankenzimmer entführt worden war: Wenn man überleben wollte, war etwas Hässliches manchmal notwendig. Ein klein bisschen Verrücktheit. Dass sie die Krankheiten aus den Körpern von Menschen vertreiben konnte, bedeutete etwas Wundervolles. Und wenn sie es weiter tun wollte, wenn sie lange genug frei und lebendig bleiben wollte, um ein Leben zu führen, in dem sie anderen zu helfen vermochte, dann musste sie kämpfen. Kämpfen, um zu gewinnen.
    Werde nicht rücksichtslos, flüsterte etwas in ihrem Inneren, während sie weiter in dieses Antlitz des Todes starrte. Sei nicht so hart und kalt. Welchen Preis fordert das, Elena?
    Das wusste sie nicht, aber ihr war klar, dass sie in diesem Augenblick bereit war, ihn zu zahlen.
    »Steig in den Zug«, befahl Artur. »Elena, sofort!«
    »Nicht ohne dich und die anderen«, widersetzte sie sich.
    »Elena.« Amiri nahm sie beim Handgelenk. Rik wirkte zerrissen zwischen dem Wunsch wegzulaufen und dem zu kämpfen. Das amerikanische Ehepaar schien verschwunden, vermutlich waren sie bereits eingestiegen.
    Der stille Mann ging langsam auf sie zu.
    Charles Darling, verbesserte sie sich. Du gibst ihm zu viel Macht über dich, wenn du ihn den stillen Mann nennst.
    Artur trat vor Elena, aber sie hielt ihn am Arm fest. Sie kam sich so vor, als wären sie wieder in der Einrichtung und es wäre ihr erstes Zusammentreffen, nur dass Elena jetzt wusste, wozu sie fähig war. Das machte einen himmelweiten Unterschied.
    »Hallo.« Charles blieb knapp zwei Meter vor Elena und den anderen stehen. »Wie schön, Ihr Gesicht wiederzusehen, Elena.«
    »Leider kann ich das im umgekehrten Fall nicht behaupten«, konterte sie.
    Er lächelte. Es war gruselig, dass er die anderen mit keinem Blick würdigte, fast, als würden sie nicht existieren und als wäre sie die einzige Person auf der Welt, die von Bedeutung war. Seine Konzentration entsetzte sie, aber Elena unterdrückte ihre Furcht mit der Erinnerung an sein

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