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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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übertrage.«
    »Der Gedanke ist durchaus verlockend«, erwiderte Artur, obwohl er bei der Vorstellung beinahe zusammenzuckte. Aber Information war nun einmal der Schlüssel zu diesem Ort: die Motive und Träume seiner Häscher. Sie enthielten viel Unbekanntes, jenseits aller Vorstellungskraft...
    Aber Fantasie ist einen Schritt entfernt von der Realität. Und jede noch so kleine Tatsache über diesen Ort bringt mich der Wahrheit näher.
    Diese Wahrheit wiederum war das Einzige, was ihm genug Macht zum Kämpfen gewähren würde. Dieser Ort hier ertrank in Lügen, Lügen um ihrer selbst willen, Lügen, die den Geist und das Herz brachen. Artur wollte aber keine mehr.
    »Vielleicht kann ich ja eine andere Art der Berührung für Sie arrangieren, Mr. Loginov. Da Sie so ... begierig darauf zu sein scheinen.«
    Sie ging zur Tür und zog sie auf. Der Arzt stand davor. Er hielt eine Edelstahlschale in der Hand, über deren Rand der Griff einer Zange ragte. Artur fragte sich, wie lange er schon dort gewartet haben mochte. Seine Miene erinnerte ihn an einen kleinen Jungen, der Angst hat, seine Mutter zu verärgern. Es war ein amüsanter Anblick: Wie dieser erbarmungslose alte Mann versuchte, sein Unbehagen zu unterdrücken. Ein angeketteter Mengele.
    Hinter ihm standen zwei andere Männer. Das weiße Hosenbein des einen war mit Blutspritzern gesprenkelt. Sie betraten das Zimmer erst hinter dem Arzt. Keiner sagte etwas; die Männer zogen Elektroden und Drähte aus einem kleinen Fach in dem CTG und befestigten die Sensoren auf Arturs Brust. Das Kontaktgel fühlte sich kalt an. Sie trugen Latexhandschuhe, die verhinderten, dass er mehr als nur schwache, oberflächliche Erinnerungen aufnehmen konnte, flüchtige Bilder, die er bloß bekam, weil sie beim Anlegen die Handschuhe hatten berühren müssen. Und sie dachten vor allem an die Raubkatze.
    »Ihre Herzschlagfrequenz ist wichtig«, erklärte der Arzt. »Wir wollen doch nicht, dass Sie an einem Herzinfarkt sterben.«
    »Noch nicht, jedenfalls«, warf Miss Graves ein.
    Nicht, bevor ihr nicht bekommt, was ihr haben wollt. Nicht, bis ihr alles herausgefunden habt, was ich weiß. Nicht, bevor ich ja sage.
    »Sind Sie so weit?«, erkundigte sich Graves bei dem Arzt.
    »Fast.« Er hielt immer noch die Metallschale in der Hand. Artur konnte nicht sehen, was sich darin befand. Schließlich bedeutete der Arzt den Männern, den Raum zu verlassen, schloss hinter ihnen die Tür und nahm die Zange.
    Damit hob er einen Stofffetzen aus der Schale. Er war rot, steif von getrocknetem Blut. Er trat dicht an Artur heran und sah ihm in die Augen. »Passen Sie auf Ihre Zunge auf, mein Junge. Beißen Sie sie nicht ab.«
    Der Arzt legte den Stofffetzen auf Arturs Brust ...
    Wasser. Ruhiges blaues Wasser, schwebend, wie ein Geist im Meer.
    Dann eine leichte Berührung an seinem Bein, federleicht. Noch eine, dann noch eine, und unter ihm der Schatten von etwas Großem, Dunklem und ... mein Gott, eine Flosse, die strahlende Sonne und ... Schmerzen, glühende Schmerzen, eine rote Wolke treibt wie nasser Rauch im Wasser, und Furcht, stinkende, nach Exkrementen stinkende Furcht, als - Ken - die Kontrolle über seinen Schließmuskel im selben Augenblick verliert wie seine Beine, das - Knacken, Brechen von Knochen, das durch den Körper vibriert - als er wie eine Puppe mitgerissen und dann unter eine kalte Welle gezogen wird, Wasser schluckend, als er schreit - endlos.
    Artur starb sehr, sehr lange.

7
    Nachdem Rictor Elena in ihre Zelle zurückgebracht hatte, setzte sie sich auf ihre Schaumstoffmatratze, lehnte sich an die Wand, streckte die Beine vor sich aus und dachte über den Tod nach. Ihren eigenen, sehr gut möglichen Tod, den, dem Artur knapp entgangen war. Rictors angekündigten Tod. Sie dachte an den ruhigen Mann, der sie an den Tod erinnerte. Einen Tod, der mit einem Lächeln auf dem Gesicht umherspazierte.
    Sie dachte an ihre Mutter, an deren Gesicht: ein besonderes Gesicht in einem besonderen Moment, mit einem Ausdruck, der Elena immer noch schmerzte. Ein blasses, ausgemergeltes, hartes Gesicht, aus dem ein hartes Leben die Spuren aller Jugend herausgeschnitten hatte, sie dachte an Ronnie Baxters eingefallene Wangen.
    »Böses Mädchen«, hatte sie vor all den Jahren gesagt.
    »Gott, du bist solch eine Missgeburt. Leg das Kaninchen auf den Boden.«
    Es war ein winziges Tier gewesen, ein Baby, süß und klein. Der rote Kater hatte ihm den Bauch aufgerissen. Es starb, es blutete und war im Schock

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