Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
So wie ich es sah, verdienten sie einander. Sie hätten sich zu einem Volk zusammenschließen und von unserer Welt wegbleiben sollen.
»Das werden wir nie erfahren. Nachdem sie ihn angehört hatte, schloss sie ihn in ihre Gemächer ein und schickte nach dem König. Sie trafen sich noch am selben Tag. Ich erinnere mich zwar nicht mehr daran, aber in unseren Geschichtsbüchern steht, dass sie mich damit beauftragt hat, Cruce zu ihr zu bringen. Sie fesselte ihn an einen Baum, nahm das Schwert des Lichts und erstach ihn vor den Augen des Königs.«
Mir verschlug es den Atem. Es war eigenartig, sich vorzustellen, dass V’lane all das selbst erlebt hat, auch wenn er sich heute nicht mehr daran erinnerte. Er musste in Aufzeichnungen nachlesen, um sich ins Gedächtnis zu rufen, was er freiwillig vergessen hatte. Ich fragte mich, ob der Chronist die Vorgänge, wie wir Menschen es oft tun, ein wenig geschönt oder abgeändert hat. Da ich ihren Hang zu Illusionen kannte, bezweifelte ich, dass irgendein Feenwesen die reine Wahrheit sagte. Würden wir jemals erfahren, was sich in den alten Zeiten tatsächlich ereignet hat? Vermutlich kam V’lanes Version der wahren Geschichte ziemlich nahe. »Und der Krieg brach aus.«
Er nickte. »Nachdem der König die Königin umgebracht hatte, kehrte er an seinen Hof zurück und musste feststellen, dass seine Konkubine nicht mehr am Leben war. Nach Berichten der Prinzen war sie, als ihr zu Ohren kam, dass der König in ihrem Namen seine Artgenossen dahinmetzelte, aus den Spiegeln getreten, hatte sich in sein Bett gelegt und Selbstmord verübt. Angeblich hat sie ihm einen Abschiedsbrief hinterlassen, den er immer noch bei sich trägt.«
Welch tragische Liebe! Eine sehr traurige Geschichte. Ich hatte ihre Liebe in der Weißen Villa gespürt, auch wenn beide zutiefst unglücklich waren: der König, weil seine Geliebte kein Feenwesenwie er war, und die Konkubine, weil sie gefangen und ganz allein darauf wartete, dass er sie »gut genug« für ihn machte. Sie hätte ihn auch ohne dies ein kleines Menschenleben lang geliebt und wäre glücklich gewesen. An der Liebe der beiden gab es jedoch keinen Zweifel – sie wollten beide nur zusammen sein.
»Das Nächste, was wir von dem Sinsar Dubh gehört haben, war, dass es sich frei und ungehindert in eurer Welt bewegt. Es gibt einige Seelie, die gierig sind nach dem Wissen, das in dem Buch festgehalten ist – zu ihnen gehörte Darroc.«
»Welche Pläne hat die Königin mit dem Buch?«, wollte ich wissen.
»Sie glaubt, dass ihre matriarchalische Magie sie befähigt, es zu benutzen.« Er zögerte. »Mir gefällt, dass wir beide uns so sehr vertrauen. Es ist lange her, seit ich zum letzten Mal einen Verbündeten mit Macht, Vitalität und einem wachen Verstand hatte.« Er schien mich zu taxieren und Entscheidungen gegeneinander abzuwägen, dann fuhr er fort: »Es heißt, dass jeder, der die erste Sprache beherrscht – die alte Sprache der Zeit, in der der König sein Dunkles Wissen niederschrieb –, das Sinsar Dubh Seite für Seite lesen und all die verbotene Magie des Königs in sich aufnehmen kann.«
»Kannte Darroc diese Sprache?«
»Nein. Das weiß ich sicher. Ich war dabei, als er zum letzten Mal aus dem Kelch trank. Hätten meine Artgenossen gewusst, dass das Sinsar Dubh unter eurer Abtei gefangen ist, hätten sie in eurer Welt alles dem Erdboden gleichgemacht, um es aufzuspüren, bevor sie so oft aus dem Kelch getrunken und somit die Erinnerung an die alte Sprache beinahe gänzlich ausgemerzt hatten.«
»Wieso sind sie so erpicht auf das Wissen, das der König für so schädlich hält, dass er es verbannt und eingekerkert hat?«
»Das Einzige, was die Seelie mehr lieben als sich selbst, ist die Macht. Wir fühlen uns unwiderstehlich von ihr angezogen – fast so wie ein sterblicher Mann sich von einer betörenden Frau angezogen fühlen kann; er würde ihr überallhin folgen, auch wenn er wüsste, dass sie sein Leben zerstört. Es gibt nur einen einzigen Moment, indem ein Mann – oder ein Feenwesen – die Konsequenzen noch erkennen kann. Dieser Moment ist selbst für unsere Begriffe kurz. Hinzu kommt, dass andere das Wissen vielleicht besser als der König anwenden können. Macht an sich ist nicht gut oder böse, Das kommt ganz auf den an, der sie in Händen hält.«
V’lane war so charmant, wenn er offen und freimütig über die Unzulänglichkeiten seiner Rasse sprach und sogar sein Volk mit der Menschheit verglich.
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