Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
Meine Augen waren halb geschlossen, mein Gesicht von Konzentration gezeichnet.
Noch eine Aufnahme von oben. Ich drückte die Handfläche auf die Brust der Grauen Frau und befahl ihr, Dani wiederherzustellen.
Gab es überhaupt etwas, was er nicht wusste?
Ich legte die Fotos zurück in die Schublade. Ich war ganzbenommen. Er hatte alles gesehen: das Gute, das Schlechte, das Hässliche. Er stellte mir nie Fragen, es sei denn, es war nötig, dass ich über die Antworten nachdachte. Er hatte mich nie mit irgendwelchen Etiketten versehen und in eine Kategorie gesteckt. Obwohl es viele Etiketten gab, die zu mir gepasst hätten. Ich war, was ich in dem Moment war, und das mochte er. Es war alles, was für ihn zählte.
Ich drehte mich um und schaute in den Spiegel.
Eine Fremde erwiderte meinen Blick.
Ich berührte das Gesicht meines Spiegelbilds. Nein, sie war keine Fremde. Sie war eine Frau, die ihr gewohntes Umfeld verlassen hatte und zur Kämpferin geworden war. Ich mochte diese Frau.
Der Spiegel fühlte sich kalt unter meinen Fingern an.
Ich kannte diesen Spiegel. Ich kannte sie alle. Sie hatten etwas von … K’Vruck in sich. Hatte der König bei der Herstellung Materie aus der Heimat der Jäger verwendet?
Während ich in den Spiegel schaute, suchte ich in meinem Kopf nach dem dunklen glasigen See und übermittelte ihm, dass ich durch den Spiegel treten wollte.
Ich hab dich vermisst , zischte er. Komm schwimmen.
Bald , versprach ich.
Alabasterfarbene Runen tauchten aus den Tiefen auf.
So einfach war das. Ich fragte nach etwas, der See gab es mir. Er war immer da, stets bereit.
Ich nahm die Runen und drückte eine nach der anderen auf die Oberfläche des Spiegels.
Als die letzte an Ort und Stelle war, kräuselte sich das Glas wie silbriges Wasser. Ich fuhr mit dem Finger darüber, und das Wasser zog sich zurück, bis ich den nebligen Pfad durch einen Friedhof sah. Hinter den Grabsteinen krochen und schlängelten dunkle Kreaturen umher. Der Spiegel rülpste mir eisige Luft entgegen.
Ich hob ein Bein und trat durch den Spiegel.
Ich vermutete, dass Barrons, um seine unterirdische Behausung zu schützen, mehrere Spiegel hintereinandergestapelt und so einenKorridor geschaffen hatte, den kein Eindringling lebend überwinden konnte.
Hätte ich vor neun Monaten den Weg dorthin gefunden, hätte ich nicht einmal die ersten Schritte überlebt. Ich wurde sofort angegriffen und hatte nicht einmal die Zeit, meinen Speer zu ziehen. Als sich die ersten Zähne und Klauen auf mich stürzten, bot mir mein See Hilfe, und ich nahm sie an.
Eine einzelne purpurrote Rune lag in meiner Hand.
Meine Angreifer wichen augenblicklich zurück. Die Rune schreckte sie ab.
Ich watete durch die Nebelschwaden, die mir bis zur Taille reichten, und nahm die öde Landschaft in Augenschein. Kahle Bäume schimmerten wie gelbe Skelette im Mondschein. Die schiefen Grabsteine oder umgefallenen Grabsteine waren halb zerbröckelt. Hinter schmiedeeisernen Gattern erhoben sich Mausoleen. Es war ungeheuer kalt, beinahe so kalt wie im Unseelie-Gefängnis. Mein Haar, die Brauen und die Nasenhaare vereisten. Meine Finger wurden taub.
Ein Spiegel ging nahtlos in den nächsten über. Barrons’ Konstruktion war weit raffinierter als die von Darroc und, wie es schien, die des Königs.
Ich sah die Veränderung meiner Umgebung nicht kommen. Plötzlich stand ich mit einem Fuß in dem eisigen Friedhof, mit dem anderen im heißen schwarzen Sand einer Wüste, und die Sonne brannte auf mich nieder. Ich wagte mich in die sengende Hitze und war sofort wie ausgedörrt. Hier attackierte mich nichts. Ich fragte mich, ob die Sonne allein gewisse Eindringlinge fernhielt. Der nächste Spiegel bereitete mir größte Schwierigkeiten. Mit einem Mal war ich unter Wasser und bekam keine Luft. Ich geriet in Panik und versuchte, aus dem Wasser zu kommen.
Doch im Unseelie-Gefängnis hatte ich auch überlebt, ohne zu atmen.
Ich hörte auf zu kämpfen, schwamm stattdessen und ging über den Grund des Ozeans einer fremden Welt – zu unserem Planetengehörte er sicherlich nicht, weil es bei uns keine Fische gab, die aussahen wie kleine Dampfschiffe.
Mein glasiger See umgab mich mit einer Art Blase, von der alles, was auf mich zukam, abprallte. Ich fühlte mich unangreifbar und war wie betrunken von meiner Macht.
Von einer Landschaft, der ich den Titel »Mitternacht auf einem fernen Stern« geben würde, wenn sie gemalt wäre, gelangte ich übergangslos in einen schwach
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