Shakespeare erzählt
eingeteilt für Spaß und Albernheit und lebten das Leben der Ardenner.
»Das war meine Geschichte«, sagt Orlando und seufzt und legt die Stirn in seine Hände.
»Aber die Geschichte ist doch gut ausgegangen«, sagt Ganymed, der mit der tiefen Stimme. »Im Vergleich zum Ardennerwald ist das Schloß eines Herzogs doch nur ein Reihenhaus am Stadtrand. Warum seufzest du denn immer noch?«
»Ich seufze wegen etwas anderem.«
»Und weswegen?«
»Ich könnte sterben vor Liebe«, seufzt Orlando.
»Und wen liebst du?« Nur mit Mühe kann Ganymed seine Stimme in der tiefen Lage halten.
»Ein so schönes Fräulein mit dem Namen Rosalinde«, schwärmt Orlando. »Ich habe sie nur einmal gesehen, aber ich werde sie nie vergessen. Ich werde vor Liebe sterben.«
Rosalinde ist verwirrt. »Siehst du«, stammelt sie, »es sind immer wieder Männer gestorben und sind dann von Würmern aufgefressen worden, aber nicht aus Liebe. Außerdem sollte man nie persönlich sterben, sondern sich dabei immer von einem Anwalt vertreten lassen.« Und denkt sich: Was rede ich denn da! Und denkt sich: Ist doch egal, was ich rede, ich bin ja nicht ich, ich bin Ganymed, und es ist mir doch egal, was der redet. Und denkt sich: Schade, daß ich nicht ich bin, denn wenn jetzt ich ich wäre, dann könnte ich ihm sagen, daß ich ihn ebenfalls liebe.
Ganymed und Orlando, zwei Burschen etwa im selben Alter, verstehen sich prächtig. Am Tag streifen sie durch den Wald, erlegen Wild, am Abend sitzen sie vor dem Haus, drehen den Spieß und reden.
Worüber reden sie? Eigentlich immer über das gleiche.
»Ich rede nur von mir«, sagt Orlando.
»Das ist schon recht«, sagt Ganymed.
»Aber ich rede nur über meine Liebe zu Rosalinde.«
»Das ist schon recht«, sagt Ganymed.
»Das muß für dich doch irgendwie traurig sein, daß ich immer nur über meine Liebe rede, du aber keine Liebe hast, über die du mit mir reden könntest.«
»Das ist nicht traurig«, sagt Ganymed. »Ich bin schon in Ordnung.«
»Du mußt mir aber sagen, wenn du über etwas anderes reden möchtest«, sagt Orlando.
»Ich höre dir gern zu, wenn du über deine Rosalinde sprichst«, sagt Ganymed.
»Meine Rosalinde!« ruft Orlando aus. »Wenn sie doch nur meine wäre!«
»Du mußt sie eben suchen«, sagt Ganymed.
»Das Suchen macht mir weniger Kopfzerbrechen als das Finden«, sagt Orlando.
»Warum macht dir das Finden Kopfzerbrechen?«
»Was mach ich, wenn ich sie finde?«
»Dann sagst du ihr, wie sehr du sie liebst.«
»Und wenn ich dann den Mund nicht aufkriege?«
»Das wäre peinlich.«
»Eben.«
»Wir könnten üben.«
»Und wie stellen wir das an?«
»Also«, sagt Ganymed, »ich werde mich verkleiden. Ich tu so, als wäre ich diese Rosalinde.«
»Aber du weißt ja nicht, wie sie redet.«
»Da mußt du mir eben am Anfang die Worte in den Mund legen.«
»Aber sie sagt nur die schönsten Worte.«
»Was sagt sie denn so zum Beispiel?«
»Ich kann sie nicht nachmachen, es ist unmöglich, sie ist so viel feiner und vornehmer und gebildeter und zarter und graziler und fragiler und anziehender und süßer und witziger als ich.«
»Dann werde ich versuchen, aus meiner Inspiration heraus deine Rosalinde nachzumachen«, sagt Ganymed.
»Das würdest du für mich tun?« begeistert sich Orlando. »Du bist wirklich ein guter Freund, Ganymed!«
Und so machen sie es von nun an: Am Morgen in aller Frühe verläßt Orlando das Lager des Herzogs, marschiert durch den Wald zur Schäferei, dort trainiert er den ganzen Tag die Liebe mit Rosalinde, die den Ganymed spielt, der die Rosalinde spielt, und am Abend, nachdem er sich mit Schafskäse, Lammfleisch, Schafsmilch, Schafsjoghurt mit Honig und einem Stück von dem guten sauren Brot gestärkt hat, geht er durch den Wald wieder zurück ins Lager.
»Das ist doch ein Glück«, sagt Celia-Aliena.
»Schon«, sagt Rosalinde-Ganymed, »aber dennoch habe ich das Gefühl, es fehlt etwas.«
Eines Tages auf dem Weg zur Schäferei sieht Orlando im Gras einen Mann liegen, der schläft. Orlando will ihn nicht stören. Aber dann sieht er, daß sich eine Schlange um den Hals des Mannes ringelt, und es ist eine tödliche Schlange. Er packt das Tier unter dem Kopf und erwürgt es.
Da wacht der Mann auf, und Orlando erkennt ihn. Es ist sein Bruder Oliver. Orlando weiß nicht, was Oliver hier im Wald will, aber er kann es sich denken: Der Neid hat ihn getrieben. Er hat gehört, wie angenehm das Leben im Ardennerwald ist, und sein Neid hat das
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