Shakespeare erzählt
nicht ausgehalten.
Und Orlando traut sich nicht zu denken, was er dann doch denkt: Er ist gekommen, um mich zu töten.
»Du hast mein Leben gerettet«, kann Oliver gerade noch sagen, da ist Gebrüll zu hören.
Und nun tritt etwas ganz Seltenes auf, nämlich: ein Löwe im Ardennerwald. Und dieser Löwe interessiert sich ausschließlich für Oliver. Er schnappt nach seiner Hose und schleppt ihn fort. Orlando wirft sich auf den Rücken des Löwen, nimmt ihn in den Schwitzkasten, gibt alles, was er hat, gibt das Letzte, kriegt Prankenhiebe ab, teilt Boxer aus. Am Ende ist der Löwe tot. Und Orlando ist schwerverletzt. Hockt da, leckt sich das Blut von den Lippen und hechelt.
»Orlando! Orlando!« lamentiert Oliver. »Du hast mir zweimal das Leben gerettet! Und ich? Was wollte ich? Ich wollte dir das deine nehmen!« Und er fällt auf die Knie und schlägt die Hände zusammen. »Bitte, bitte verzeih mir! Alles, was du willst, will ich tun!«
Orlando erhebt sich. Dann umarmt er seinen Bruder. »Ich muß ins Lager zurück«, sagt er. »Ich muß meine Wunden verbinden. Dort gibt es Ärzte, die werden sich um mich kümmern. Du kannst mir aber einen Gefallen tun, Bruder. Geh über die Lichtung und durch den Wald, bis du zur nächsten Lichtung gelangst! Dort steht ein Schäferhaus, in dem wohnt mein Freund Ganymed. Sag ihm, unser Training fällt heute aus.«
»Was für ein Training? Ringst du wieder?«
»Ja. Aber auf einem anderen Feld.«
Oliver macht sich auf den Weg. Bei der Schäferei trifft er Ganymed und Aliena, und er erzählt, was geschehen ist. Und er erzählt auch die Vorgeschichte. Und er legt ein Geständnis ab und schlägt sich an die Brust und bittet Ganymed und Aliena, sie mögen doch Orlando bitten, er möge ihm verzeihen. So offen und ehrlich spricht er, daß sich Aliena in ihn verliebt. Sie denkt sich: Es macht mir große Freude, jemanden zu retten, der gerettet werden will, und der da will von seiner Schuld gerettet werden. Und Oliver sieht, daß da eine ist, die ihn retten will, und er denkt sich, wer rettet, liebt, und er verliebt sich in Aliena.
Als Oliver in seiner Erzählung zu der Stelle kommt, als der Löwe über Orlando hergefallen ist, da hat sich Rosalinde so sehr erschrocken, daß sie in Ohnmacht fällt.
Aber gleich, als sie wieder zu sich kommt, sagt sie: »Nein, nein, hört zu! Nicht ich, Ganymed, bin in Ohnmacht gefallen. Ich habe nur gespielt, wie Rosalinde in Ohnmacht fallen würde, wenn man ihr so eine Geschichte erzählte. Bitte, sagt Orlando, wie schön seine Rosalinde in Ohnmacht fällt, wenn Ganymed sie spielt!«
Am nächsten Tag sitzen sie alle beieinander vor der Schäferei, Orlando mit Kopfverband, Armschlinge und geschientem Bein, Oliver dicht neben Aliena. Da erhebt sich Ganymed, macht merkwürdige Bewegungen, dreht sich im Kreis, schaut nach oben, tut, als sähe er im Nichts etwas.
»Was ist denn, Ganymed?« fragt Aliena. »Ist dir der Schafskäse nicht bekommen?«
»Nein«, antwortet Ganymed, »das ist es nicht. Ich möchte euch etwas sagen.«
»Sag lieber nichts«, ruft Aliena aus. Sie befürchtet nämlich, dann muß sie auch etwas sagen, und vielleicht gefällt, was sie sagt, dem Oliver dicht neben ihr nicht. »Am besten ist, wir sagen alle miteinander einfach eine Zeitlang gar nichts. Ist doch auch einmal schön.«
»Ich muß euch endlich sagen, wer ich in Wahrheit bin«, verkündet Ganymed.
Aliena schließt die Augen.
»Ich bin ein Zauberer«, sagt Ganymed.
»Und was kannst du zum Beispiel zaubern?« fragt Orlando.
Ganymed blickt ihm tief in die Augen. »Deine Rosalinde werde ich morgen in diesen Wald zaubern.«
»Ich glaube dir«, sagt Orlando.
»Glaubst du ihm das wirklich?« fragt Oliver. »Dann glaube ich es ihm auch. Aber ich möchte, daß du für mich auch etwas zauberst, Ganymed.«
Da nickt Ganymed nur, zwinkert Aliena zu und läuft in den Wald.
Am nächsten Tag treffen sich alle im Lager des Herzogs. Alle sind da, nur Ganymed nicht.
»Schon so viel hat mir Orlando von diesem Burschen erzählt«, sagt der Herzog. »Ich möchte ihn kennenlernen.«
Aber Ganymed kommt nicht. Er hat jemanden geschickt. Eine Frau. Die hält sich einen Fächer vors Gesicht. Und dann nicht mehr. Es ist Rosalinde, geschmückt, geschminkt, frisiert und fein gekleidet. Da sagt auch Aliena, wer sie ist, nämlich Celia, des Friedrich Tochter.
Höhepunkt des Tages, Doppelhochzeit im Ardennerwald: Oliver und Celia, Orlando und Rosalinde. Und ein Fest, das seinen Schein weit in
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