Shampoo Planet
herüberschauen, hält sie eine Hand über die Flammen des Rumkuchens, und ihre Finger und Armbänder mit den faux Diamanten berühren die kleinen blauen Zünglein und löschen sie dabei. Stephanie blickt hoch und sieht mich an, und in ihren Augen liegt ein Ausdruck von Verwundbarkeit, den ich ihnen gar nicht zugetraut hätte. »Sicher, Tyler«, sagt sie und überläßt ihre Hand unerschrocken der klebrigen Süßigkeit, dem Alkohol und Ruß, »da sind Flammen, aber das, was darunter ist - der Kuchen - brennt nicht wirklich.« Sie blickt hinunter auf ihre verbrannte Hand. »Oder?«
Nein.
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In unseren Tageszeitungen hier auf der Erde verzeichnen wir Übergänge: Geburten, Tode, Hochzeiten, Auf- und Abstiege. Aber ich glaube, es gibt noch eine andere Erde, parallel zu der unsrigen - eine Erde, auf der eine parallele Tageszeitung herausgegeben wird, in der die Höhepunkte unsichtbarer Übergänge aus unserem Alltag verzeichnet stehen; kleine, zerbrechliche Übergänge, liebenswert und zeitlos. Und zwar:
Lustige Tatsache: 4560110 Erdlinge haben sich heute verliebt; 4560007 haben sich entliebt.
Bildunterschrft eines Farbfotos: Paulo Maria Bispö, ein Rübenzüchter in Olivarria, Argentinien, fand einen Goldmeteoriten, als er gestern nachmittag sein Feld pflügte. Mr. Bispö, Vater von drei Kindern, will den Meteoriten zu zwei goldenen Schneidezähnen verarbeiten lassen, die sein gegenwärtiges Gebiß aus Apfelholz ersetzen sollen, so daß sein Lächeln strahlt »wie die Sonne, aus der der himmlische Stein geboren wurde«.
Bildunterschrift eines Schwarzweißfotos: Die Kinder von Carson City in Nevada, USA, wärmten sich ihre Hände an Hunderten von brennenden Rouletterädern, die von der Nevada-Glücksspiel-Kommission als gezinkt deklariert wurden. Dabei war der Wüstenhimmel über der Stadt von schwarzem Qualm verdeckt. Meteorologen versichern, daß dieser Rauch keinen schädlichen Einfluß auf die globale Wetterentwicklung ausübt.
Lustige Tatsache: 3089240 Frauen wurde gestern klar, daß sie Gefangene einer liebelosen Ehe sind; ebenso 3002783 Männer.
Farbfoto: In Pretoria, Südafrika, bilden die Hügel der Stadt ein einziges Meer aus bezaubernden lavendelfarbenen Jacaranda-Blüten; in Turuchansk, Sibirien, bräunt sich der Torf des sibirischen Kohlebeckens - die größte Biomasse des Planeten - mit viel Würde und bereitet sich auf den einebillionsten Winterschlaf vor.
Sportnachrichten: 11 Prozent der motorisierten Einwohner Tokios in Japan, Austragungsort eines bedeutenden internationalen Sportereignisses in dieser Woche, verzichteten freiwillig darauf, mit ihrem Auto zu fahren, damit die teilnehmenden Athleten saubere Luft atmen können. Heute abend wird Reiko Fukusawa, eine 24jährige Bürohilfe aus der Präfektur von Saitama, außerhalb von Tokio, und freiwillige Nichtfahrerin - eine Frau, die sich selbst als übergewichtig ansieht -, wenn sie sich schlafen legt, von Athleten und deren Körpern träumen und wird im Traume fliegen und taumeln und erneut mit einem Teil ihrer selbst vereinigt werden, von dem sie geglaubt hatte, sie habe ihn vor vielen Jahren, als sie noch jung war, verloren.
Randbemerkung mit Kreisdiagramm: 2499055 Menschen konnten vergangene Nacht nicht schlafen, da sie auf die Ergebnisse medizinischer Untersuchungen warteten; 130224 aus gutem Grund.
Sonderfoto mit Ministory: Astronauten an Bord der Space Shuttle, die in der Erdumlaufbahn Tests durchführten, ließen heute in der Atmosphäre ihrer Raumkapsel den kleinen blauen Vogel Kippy, der oben im All geschlüpft war, frei umherfliegen. Die Wissenschaftler hielten mit der Kamera Kippys zunächst verwirrten, schwerelosen Zickzackkurs durch die Luft fest. Da Kippy sich an keiner genetischen Information über Schwerelosigkeit orientieren kann, mußte er mit seinen eben erst tauglich gewordenen kleinen Flügeln im wesentlichen den gesamten Prozeß des Fliegens im freien Fall der Erdumlaufbahn von Anfang an neu erfinden.
»Für seine Tapferkeit schenkten wir Kippy einen Hirsekolben«, sagte Flugkapitän Don Montgomery. »Er war wirklich tapfer. Er hätte nicht zu fliegen brauchen, aber er flog. Meine Crew und ich selbst sind sehr, sehr stolz.«
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Verlust.
Stephanie hat mich verlassen - vor einer Woche nach dem Abendessen im Morton's. Während des ganzen Essens hatte ich sie immer wieder gefragt, was ihre große Überraschung wäre, aber sie wollte darauf nichts sagen. Als wir später vorne an
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