Shanera (German Edition)
Das wird allerdings ein anstrengender Marsch.“
„Gut, gehen wir noch eine Weile die Kante entlang, so lange man noch was sieht. Holz gibt es hier ja genug. Und mit dem hier“, Shanera hielt das auf dem Weg erbeutete Tier an den Füßen hoch, „haben wir auch was Gutes zu essen.“
„Aber diesmal koche ich.“, warf Zela ein. „Ich will gar nicht wissen, was Du wieder damit anstellen würdest.“
„Wieso? Mir hat’s beim letzten Mal geschmeckt.“
„Das kann nur bedeuten, dass Dein Geschmackssinn bereits ruiniert ist.“
+
Nach dem Essen saßen sie noch eine Weile ums Feuer, starrten in die Glut und hingen schweigend ihren Gedanken nach. Der morgige Tag würde die Entscheidung bringen. Kehrten sie in ihr altes Leben zurück oder würden sie die unsichtbare Grenze endgültig überschreiten? Selbst nach diesen wenigen Tagen unterwegs schien ihnen der Alltag schon sehr fern.
Besonders Koras hatte ein Problem damit, wie die Dinge sich entwickelten. Er hatte nie damit gerechnet, dass sie länger als ein paar Tage vom Dorf weg sein würden. Er hatte zwar an dem Tag, als sie Shanera eingeholt hatten, recht locker darüber gesprochen, einen Mondzyklus unterwegs zu sein, aber in Wirklichkeit war ihm bei diesem Gedanken gar nicht wohl. Er hatte die Gemeinschaft und die Kameradschaft immer geschätzt, mochte sie auch ein wenig einengend sein. Aber man konnte sich auf den anderen verlassen. Und auf das geregelte Dorfleben. Niemand wusste, was sie dort draußen erwartete.
Außerdem war es ihm ein wenig unbehaglich, allein mit zwei Frauen zu sein. Das schien zwar umgekehrt auch für diese zu gelten. Trotzdem, er fühlte sich in der Minderheit. Doch seine Schwäche für Zela hatte sich eher noch verstärkt, auch wenn sie nicht allzu viel geredet hatten in den paar Tagen. Es war ihr ruhiges und freundliches Wesen, das ihn für sie gewonnen hatte. Außerdem, das musste man zugeben, sah sie auch recht gut aus. Jedenfalls stellte ihre Entscheidung über ihr Weitergehen oder Rückkehren einen wichtigen Faktor in seiner eigenen Rechnung dar. Er hoffte, er würde das Richtige tun.
*
Tag 6
Früh am Morgen waren sie auf den Beinen und marschierten so nah an der Kante entlang, wie es in dem Gelände möglich war, um den Abstiegsweg nicht zu verpassen. Ihr Ziel war momentan nicht zu sehen, denn im morgendlichen Licht warf es keinen Schatten wie gestern und der Dunst war immer noch zu dicht.
Gerade als Shanera anfing, sich Sorgen zu machen, wie es weitergehen würde, wenn sie den Pfad doch verpassten und den Vorberg heute nicht mehr erreichten, riss sie Zela mit einem lauten Ruf aus ihren Gedanken.
„Hey! Ist es das?“ Sie zeigte nach vorne, und tatsächlich flatterte da, ziemlich versteckt zwischen zwei Büschen nahe dem Abgrund, ein gelber Wimpel.
„Das muss es sein. Du hast gute Augen.“, bestätigte Shanera. Sie gingen zu dem Fähnchen und starrten in die Tiefe.
Zela schluckte. „Da sollen wir runter? Ich bin doch keine Bergziege oder ähnliches Getier.“
„Nein, dazu siehst Du viel zu gut aus.“, entgegnete ihr Koras. Zela blickte ihn erstaunt an und grinste dann etwas spöttisch, woraufhin er angestrengt in den Abgrund blickte. Auch Shanera musste grinsen und warf ihrer Freundin einen viel sagenden Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu. Dann versuchte sie, sie zu beruhigen.
„Das ist alles halb so schlimm, glaub mir. Wir gehen voraus und finden den besten Weg. Wenn’s schwierig wird, können wir Dir helfen. Außerdem geht das steile Stück nicht so lang. Da unten wird es flacher, siehst Du?“
„Ich mag gar nicht so weit nach unten sehen, danke. Aber es wird schon irgendwie gehen. Ich will ja jetzt nicht umkehren.“
„Also gut, immer schön vorsichtig. Ich mache den Anfang.“ Mit diesen Worten befestigte Shanera ihre Ausrüstung, überprüfte alles noch mal und machte sich dann auf den steilen Weg nach unten.
Ein Klippentaucher näherte sich ihnen und stieß ein missbilligendes Krächzen in Richtung Windbote aus, der sich davon aber nicht beeindrucken ließ. Vielmehr flog er einen kurzen Scheinangriff auf den größeren Vogel, der daraufhin, noch mal empört krächzend, das Weite suchte.
Zela durchlebte einige bange Momente, als sie rückwärts über ein steiles Stück Fels absteigen mussten, aber im Großen und Ganzen lief es ganz gut. Sie war ja auch nicht völlig ungeübt im Klettern, sie hatte nur in den letzten Sonnenzyklen nicht soviel Erfahrung gesammelt wie die anderen beiden.
Es
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