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Shanghai Love Story

Shanghai Love Story

Titel: Shanghai Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Rippin
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überlegen auch. Ich wusste nicht, ob besser dunkler oder heller …«
    Â»Das ist nur meine Meinung«, fügte Anna hinzu. »Ansonsten denke ich, dass es wunderbar ist. Es wirkt so gelassen und gleichzeitig voller Energie …«
    Â»Gelassen?«
    Â»Ruhig. Still. Friedlich.«
    Chenxi nickte.
    Â»Dieses Kräuseln dort drüben hält alles zusammen …« Anna betrachtete das Bild noch genauer. Es schien vor ihren Augen zu vibrieren.
    Chenxi ging auf sie zu. Er räusperte sich. »Ich nicht bin sicher über diesen Teil. Vielleicht zu viel?«
    Anna trat ein Stück zurück. »Nein, es ist gut. Du hast nur zu lange daran gearbeitet. Du musst es eine Weile weglegen und dann, in ein paar Tagen, wieder anschauen, mit einem neuen Blick. Es ist wirklich toll, Chenxi. Wenn du noch diese Sache mit dem Vorder- und Hintergrund herausarbeitest, ist es perfekt. Ganz und gar harmonisch.«
    Â»Harmonisch?«
    Â»Ausgewogen. Ausgeglichen. Ähm … du weißt schon, wie zwei Gegensätze, die ohne einander nicht existieren können.«
    Chenxi lächelte. »Du meinen wie Yin und Yang?«
    Diesmal war es Anna, die verwirrt dreinschaute.
    Â»Yin und Yang. Nacht und Tag. Frau und Mann …«
    Â»Genau!«
    Chenxi wandte sich zu Anna und schaute ihr zum ersten Mal in die Augen. »Mmm. Du geben mir gutes Kompliment«, sagte er. Die Zeit schien stillzustehen und sich in die Ewigkeit zu dehnen, ehe er wieder wegschaute.
    Anna merkte, wir ihr Gesicht brannte. Sie hatte ihn erreicht. Sie hätte nie gedacht, dass es auf diese Weise geschehen könnte. Noch vor wenigen Augenblicken war ihr alles falsch vorgekommen, und plötzlich schob sich ihr ganzes Dasein an die richtige Stelle. Sie hielt Chenxis Blick so lange stand, wie sie es vermochte, und stellte sich dabei vor, wie sie ihn in ihre Arme zog und dieses honigweiche Gesicht mit ihren Küssen bedeckte. So war es also, wenn man seine fehlende Hälfte fand. Ich bin Yin und er ist Yang . Sie wusste, dass sie ihre Gefühle für ihn nicht unterdrücken konnte. Ihr fatalistisches Herz sagte ihr, dass es Bestimmung war.
    Es klopfte an der Tür und Lao Li stakste hin, um zu öffnen.
    Chenxi drehte sich wieder zur Wand und zog die Reißzwecken aus seinem Bild. Er rollte das Papier zusammen und schob es unter seinen Arbeitstisch. Dabei schaute er Anna kein einziges Mal an.
    Der korpulente Junge mit dem Mondgesicht kam herein. Er spürte, dass sich etwas in dem Raum verändert hatte, schaute sich misstrauisch um und holte sich dann eine Staffelei aus der Ecke. Lao Li schien wie aus einer Trance zu erwachen, sprang auf und zog sich ebenfalls eine Staffelei heran. Anna stand auf, aber Lao Li bedeutete ihr, zu bleiben, wo sie war, und brachte ihr eine Staffelei. Er lächelte sie an.
    Â» Xiè xiè «, sagte sie langsam und betont.
    Â» Bu yong xiè «, antwortete er, diesmal ohne zu lachen. »Gern geschehen.«
    Lao Li legte Papier auf Annas Staffelei, und als er merkte, dass sie keine Kohlestifte hatte, lieh er ihr welche von seinen. Chenxi beschäftigte sich mit seiner eigenen Staffelei, aber Anna spürte, dass er ihr von Zeit zu Zeit einen Blick zuwarf.
    Nachdem die anderen Studenten eingetroffen waren und sich mit Staffeleien versorgt hatten, kam Lehrer Dai mit einer jungen Bauersfrau herein. Sie trug ein blauweißes Batikgewand und errötete, als sie Anna sah. Sie wimmerte Dai Laoshi etwas ins Ohr und starrte dabei unentwegt Anna an, wie ein verängstigtes Tier. Aber Dai tätschelte ihr bloß die Schulter und führte sie zu einem großen Rohrstuhl.
    Â»Sie nicht wollen Kleider ablegen mit ausländischem Teufel im Raum!«, flüsterte Chenxi spitzbübisch. »Sie vom Land. Sie vielleicht niemals sehen ausländische Teufel. Sie denken, du essen ihr … Wie sagt man? … inneren Geist.«
    Ihre Seele, dachte Anna, und sagte, zu Chenxi gewandt: »Sag ihr, dass ich in Australien schon viele Nacktmodelle gemalt habe.«
    Chenxi lächelte und nickte, aber er übersetzte Annas Worte nicht. Anna machte das nichts aus. Sie fühlte, dass sie jetzt ein Geheimnis teilten, das sie vom Rest der Klasse absetzte. Der Gedanke durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag.
    Sie war angenehm berührt von der Ernsthaftigkeit und der Reife der Studenten im Umgang mit der jungen Frau. Sie schaute sich um und sah, dass sie alle angefangen hatten, das Modell zu

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