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Shannara II

Titel: Shannara II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Brooks
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suchte.
    Das Verstehen erwachte langsam.
    Zunächst glaubte sie, es müsse das Blutfeuer sein, denn das Feuer war es ja, zu dem sie sich hingezogen gefühlt hatte. Doch das Feuer war kein fühlendes Wesen; es war eine unpersönliche Kraft, alt und blutvoll und lebenspendend, aber ohne Geist. Es war nicht das Feuer. Dann dachte sie, wenn es nicht das Feuer war, dann mußte es der Keim sein, den sie trug, dieses winzige Stückchen Leben, das der Ellcrys ihr anvertraut hatte. Der Ellcrys war ein fühlendes Wesen; sein Same konnte auch fühlend sein. Der Same konnte sie vor dem Raffer gewarnt, auf das Feuer hingewiesen haben… Aber auch das war falsch. Der Same des Ellcrys würde erst zum Leben erwachen, wenn er von den Flammen des Blutfeuer übergossen worden war. Er schlief jetzt noch; das Feuer war nötig, ihn zu erwecken. Es war auch nicht das Samenkorn.
    Aber wenn es nicht das Blutfeuer war und nicht der Same, was dann?
    Da erkannte sie es. Sie selbst war es. Etwas in ihr hatte sie vor dem Raffer gewarnt. Etwas in ihr hatte sie auf das Blutfeuer hingewiesen. Warnung und Hinweis waren aus ihr gekommen, weil sie ihr gehörten. Das war die einzige Antwort, die einen Sinn ergab. Voller Überraschung öffnete sie die Augen und schloß sie sogleich wieder. Warum waren Warnung und Hinweis aus ihr selbst gekommen? Erinnerung an den befremdlichen Einfluß, den der Ellcrys auf sie ausgeübt hatte, überfluteten sie; Erinnerungen daran, wie der Baum begonnen hatte, ein neues Wesen aus ihr zu machen und wie sie schließlich das Gefühl gehabt hatte, nicht mehr sie selbst zu sein, sondern ein Stück des Baumes. Hatte der Baum dies bei ihr bewirkt? War sie tiefer beeinflußt worden, als sie je geglaubt hatte?
    Die Möglichkeit machte ihr Angst, so wie sie immer Angst bekam, wenn sie daran dachte, wie der Ellcrys sie sich selbst entfremdet hatte. Mit großer Anstrengung schob sie ihre Furcht beiseite. Jetzt gab es keinen Grund mehr, Angst zu empfinden. Das lag alles hinter ihr. Die Reise zum Blutfeuer hatte ihr Ende gefunden. Sie hatte ihre Versprechen eingelöst. Jetzt brauchte sie nur noch dem Ellcrys das Leben zurückzugeben.
    Ihre Hand glitt in den Kittel und schloß sich um das Samenkorn, welches der Quell dieses Lebens war. Es fühlte sich warm und lebendig an, als ahne es, daß es nun erweckt werden würde. Sie wollte eben die Hand wegziehen, als die Ängste sie plötzlich mit neuer Intensität überfielen. Sie zögerte, fühlte, wie ihre Willenskraft nachließ. Bedeutete dieses Ritual denn mehr als sie sich vorstellte? Wo war Wil? Er hatte versprochen, ihr beizustehen. Er hatte ihr versprochen, dafür zu sorgen, daß sie nicht wankend werden würde. Wo war er? Sie brauchte ihn jetzt; er mußte jetzt bei ihr sein.
    Doch Wil Ohmsford kam nicht. Er war jenseits der Flammenwand, und sie wußte, daß er nicht zu ihr gelangen konnte. Dies mußte sie allein vollbringen. Dies war die Aufgabe, die ihr übertragen war; die Verantwortung, die sie auf sich genommen hatte. Sie holte tief Atem. Nur noch einen Augenblick, um das Samenkorn des Ellcrys in die Flammen des Blutfeuers zu tauchen, dann war ihre Aufgabe erfüllt. Doch die Furcht ließ nicht nach. Sie überfiel sie wie eine Krankheit, und sie haßte sie, weil sie sie nicht verstand. Welches war die Ursache dafür, daß ihre Angst so groß war?
    Der Same in ihrer Hand begann kaum merklich sanft zu pulsieren.
    Sie blickte auf ihn nieder. Selbst dieses Samenkorn bereitete ihr Angst, selbst ein so kleiner Teil des Baumes. Erinnerungen stiegen empor und vergingen. Am Anfang waren sie einander nahe gewesen, der Ellcrys und sie. Da hatte keine Angst geherrscht, nur Liebe, Freude und Gemeinsamkeit. Wodurch hatte sich das geändert? Wie kam es, daß sie das Gefühl bekommen hatte, sich selbst im Wesen des Baums zu verlieren? So beängstigend war das gewesen! Selbst jetzt verursachte es ihr noch tiefe Qual. Welches Recht besaß der Ellcrys, ihr das anzutun? Welches Recht besaß der Ellcrys, sich ihrer auf diese Weise zu bedienen? Welches Recht -?
    Tiefe Scham wallte in ihr auf. Solche Fragen hatten keinen Sinn. Der Ellcrys starb und brauchte Hilfe, nicht Vorwürfe. Das Elfenvolk brauchte Hilfe. Amberle öffnete die Augen und blickte blinzelnd in die Glut des Blutfeuers. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich selbstquälerischen Gedanken hinzugeben oder über die eigenen Ängste nachzugrübeln. Jetzt war der Zeitpunkt, das zu tun, was zu tun sie hierher gekommen war - das Samenkorn, das sie

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