Shannara II
sputen. Sie mußten aus diesen finsteren Gängen wieder zu den Hängen der Hochwarte emporsteigen und nach Arborlon zurückkehren. Dort konnte Amberle wieder gesund werden. Dort würde es ihr wieder Wohlergehen.
»Hebel!« rief er.
»Hier, Elf.« Die Stimme des Alten war dünn und brüchig. Drifter auf den Armen, tauchte er aus dem Dunkel auf. »Das Bein ist gebrochen. Vielleicht hat er auch noch was anderes.« Tränen schimmerten in Hebels Augen. »Ich kann ihn nicht hier zurücklassen.«
»Heiler!« Eretrias dunkles Gesicht war plötzlich dicht vor dem seinen. »Wie sollen wir ohne den Hund hier wieder herausfinden?«
Er starrte sie an, als habe er vergessen, daß sie überhaupt existierte. Sie errötete tief vor Scham; sie glaubte ihn ärgerlich wegen ihrer Reaktion auf das Elfenmädchen.
»Die Elfensteine«, murmelte er schließlich und stellte es nicht einen Moment in Frage, daß er sich ihrer bedienen konnte. »Die Elfensteine weisen uns den Weg.«
Er schloß Amberle noch fester in die Arme und verzog das Gesicht, als heftige Schmerzen in Wellen seinen Körper durchdrangen. Eretria faßte ihn am Arm.
»Du kannst nicht das Elfenmädchen tragen und gleichzeitig mit den Steinen den Weg suchen. Laß mich das Mädchen tragen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Das schaffe ich schon«, entgegnete er. Er wollte Amberle ganz nah bei sich haben.
»Sei doch nicht so eigensinnig«, bat sie ihn leise. Sie schwieg und fuhr dann mit Mühe fort: »Ich weiß, wie du zu ihr stehst, Heiler. Ich weiß es. Aber das ist zuviel für dich. Bitte, laß mich helfen. Laß sie mich tragen.«
Ihre Blicke trafen sich im düsteren Zwielicht, und Wil sah die Tränen in ihren Augen. Da nickte er.
»Du hast recht. Ich schaffe es nicht allein.«
Er ließ Amberle in Eretrias Arme gleiten. Die drückte das Elfenmädchen an sich wie ein kleines Kind. Amberles Kopf sank an Eretrias Schulter, und sie schlief.
»Bleibt dicht bei mir«, mahnte Wil, als er eine der rauchlosen Lampen nahm und sich zum Gehen wandte.
Durch den Wasserfall und die Felshöhle wanderten sie zurück. Blut und Schweiß rannen an Wils Körper herab, und die Schmerzen wurden schlimmer. Als sie den Tunnel erreichten, der ins Labyrinth hinaufführte, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Doch sie hatten keine Zeit, eine Rast einzulegen. Sie mußten so schnell wie möglich Perk erreichen, denn dies war sein letzter Tag. Sie mußten Sichermal hinter sich lassen, zurück an die Oberfläche der Erde, auf die Hänge der Hochwarte, bevor die Sonne unterging, denn sonst würden sie den kleinen Himmelsreiter verfehlen. Und das wäre ihr Ende. Ohne Perk und seinen Rock würden sie es niemals schaffen, wieder aus dem Wildewald herauszufinden.
Vor dem Eingang in den Tunnel hielt Wil schwankend an und kramte in den Fächern des Beutels, den er am Gürtel trug. Darin verwahrte er die Kräuter und Wurzeln, die er zur Ausübung seiner Heilkunst brauchte. Nach kurzem Suchen entnahm er dem Beutel eine dunkle rote Wurzel, die fest zusammengerollt war. Zögernd hielt er sie in der Hand. Wenn er sie verzehrte, würde ihr Saft den Schmerz stillen. Er würde durchhalten können, bis sie die Hänge des Berges erreichten. Doch die Wurzel hatte noch andere Wirkungen. Ihr Saft würde ihn schläfrig machen und schließlich betäuben. Und er würde seinen Geist immer stärker verwirren! Wenn die Wirkung zu rasch eintrat, noch bevor sie aus dem Labyrinth unterirdischer Gänge herausgefunden hatten…
Eretria beobachtete ihn stumm. Er sah sie an und blickte auf das zierliche Mädchen, das sie trug. Dann biß er in die Wurzel und begann zu kauen. Dieses Risiko mußte er auf sich nehmen.
Weiter hasteten sie durch die Dunkelheit. Als das Labyrinth sich vor ihnen öffnete, hob Wil die Hand mit den Elfensteinen und beschwor den Zauber, der in ihnen wohnte. Er wurde schnell lebendig diesmal, flutete in einem heißen Strom durch ihn hindurch, ergoß sich in einem Lichtschwall in die Dunkelheit. Wie ein Leuchtstrahl schlängelte sich das blaue Feuer vor ihnen durch die unterirdischen Gänge und führte sie Schritt um Schritt vorwärts.
Der Schmerz der Verletzungen, die Wil im Kampf mit dem Raffer davongetragen hatte, begann nachzulassen. Er hatte das Gefühl, wie ein mit Luft gefüllter Ballon durch die Finsternis zu schweben. Langsam breitete sich die Wirkung des Wurzelsafts in seinem ganzen Körper aus, raubte ihm die Kraft, so daß er nach einer Weile das Gefühl hatte, seine Glieder seien aus
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