Shannara II
und brachte die Sommernacht zum Leuchten. Süße Düfte stiegen aus der Dunkelheit auf und schwebten in betäubenden Wogen auf dem milden Wind dahin, um sich in den Hecken und Hainen, den Blumenbeeten und Büschen des Gartens des Lebens zu fangen. Das Spiel von Licht und Schatten zauberte seltsam geknüpfte Muster in Schwarzweiß aus den Farben des Gartens. Kleine Lebewesen, die mit dem Einbruch der Nacht erwacht waren, flatterten auf und jäh davon, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Auf dem kleinen Hügel, der das Heimatland der Elfen überblickte, stand einsam und still der wundersame Baum, der den Namen Ellcrys trug, und erwartete den Tod, der langsam, aber unerbittlich Besitz von ihm ergriff. Schon hatte er dem Baum sein Mal aufgedrückt. Die vollendete Schönheit, die den gesunden Ellcrys ausgezeichnet hatte, war zerstört, die vollkommene Ebenmäßigkeit seiner Gestalt verzerrt. Die silberne Borke hatte sich von Stamm und Ästen gelöst und hing in rissigen Fetzen herab, schwarz und welk. Die blutroten Blätter hatten sich fest eingerollt unter der Einwirkung der Krankheit, und viele lagen dürr und ausgezehrt auf der Erde unter dem Baum, wo raschelnd der Wind mit ihnen spielte. Nackt und kahl wie eine verwitterte Vogelscheuche auf einem Getreidefeld ragte der Baum in den nächtlichen Himmel.
Allanon, Wil Ohmsford und Amberle standen am Fuß der Anhöhe und blickten wortlos zu dem Baum hinauf. Lange standen sie still und unbewegt, und nur der Stoff ihrer Gewänder, mit denen der Wind spielte, raschelte. Als Amberle endlich das Wort ergriff, klang ihr Flüstern beinahe heftig in der Stille.
»Ach, Allanon, er sieht so traurig aus.«
Die hochgewachsene Gestalt des Druiden war wie erstarrt unter den dunklen Gewändern, und sein Gesicht war im Schatten der Kapuze verborgen. Er antwortete nicht auf Amberles Worte. Ein Duft nach Flieder zog an ihnen vorüber und verflüchtigte sich wieder. Amberle wandte den Kopf und sah den Druiden fragend an.
»Hat er Schmerzen?«
Kaum merklich bewegte Allanon den Kopf.
»Etwas.«
»Er stirbt wirklich?«
»Sein Leben wird bald erlöschen. Seine Zeit ist beinahe abgelaufen.«
»Könnt Ihr denn nichts tun?«
»Was getan werden kann, muß von dir getan werden.« Allanons tiefe Stimme war ein sanftes Murmeln.
Amberle seufzte. Ein Schauder durchrann ihren zierlichen Körper. Die Sekunden verstrichen. Müde wippte Wil auf den Füßen hin und her, während er darauf wartete, daß das Elfenmädchen mit sich ins reine käme. Doch es war nicht leicht für sie. Sie hatte nicht erwartet, daß sie schon an diesem Abend vor den Baum würde treten müssen; sie hatten es beide nicht erwartet. Sie hatten geglaubt, nach der Beratung im Hohen Rat würde ihnen erst einmal ein langer Schlaf gegönnt sein. Sie hatten seit den Stunden vor ihrer Flucht durch das Rhenn-Tal keine Ruhe mehr gefunden. Beide waren sie der Erschöpfung nahe.
»Er schläft«, flüsterte Amberle.
»Für dich wird er erwachen«, erwiderte der Druide.
Sie möchte es nicht tun, dachte Wil. Sie hat es nie gewollt. Es ist nicht nur Abneigung, es ist Angst. Schon in jener ersten Nacht in dem Gärtchen hinter ihrem Haus hat sie gesagt, daß sie Angst hat. Aber sie hat nie offen gesagt, warum oder wovor.
Wil blickte zur Höhe des Hügels hinauf. Was an dem Baum machte ihr solche Angst?
»Ich bin bereit.«
Schlicht die Worte, ruhig die Stimme. Allanon schwieg. Dann nickte er unmerklich.
»Dann geh. Wir warten hier auf dich.«
Sie setzte sich nicht gleich in Bewegung, sondern blieb noch einen Augenblick lang still stehen, als erwarte sie noch etwas von dem Druiden. Dann raffte sie ihren langen Umhang und machte sich auf den Weg. Das Gesicht zu dem reglosen, kranken Baum erhoben, der oben wartete, schritt sie den Hang hinauf. Sie blickte nicht zurück.
Nur Augenblicke dauerte der Anstieg, dann stand sie allein vor dem Ellcrys. Noch befand sie sich nicht in Reichweite des Baumes, sondern ein paar Schritte entfernt, eine vermummte kleine Gestalt, die Arme fest an ihre Seiten gepreßt. Von der Höhe des Hügels lag das Westland weit und offen zu ihren Füßen, und Amberle fühlte sich schwach und hilflos. Mit den Düften des Gartens gewürzt, fächelte der Nachtwind ihr Gesicht, und sie sog die Luft tief ein, um dadurch ihre innere Ruhe zu erlangen.
Es währt ja nur einen Augenblick, sagte sie sich. Nur einen kurzen Augenblick.
Aber sie empfand solch entsetzliche Angst.
Sie verstand noch immer nicht, woher das kam,
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