Shannara III
schliefen in ihre Decken gehüllt. An dem weiten, bewaldeten Berghang war alles still. Es war, als hielte er alleine Wache.
Der Druide blieb ein paar Meter vor der Stelle stehen, wo seine Schutzbefohlenen ruhten. Er war spazierengegangen, um alleine zu sein, nachzudenken und das unausweichlich Bevorstehende zu überdenken. Wie unerwartet die Worte Brimens gewesen waren, als der Geist sie ausgesprochen hatte - wie eigentümlich unerwartet. Und das hätten sie freilich nicht sein müssen. Er hatte von Anfang an gewußt, was einmal geschehen würde. Und doch war da immer das Gefühl, es möge eine Änderung eintreten. Er war schließlich Druide, und nichts war unmöglich.
Seine schwarzen Augen schweiften über die Bergkette. Das Gestern seines Lebens lag weit zurück, in weiter Ferne die Kämpfe, die er durchlebt, und die Straßen, die er durchwandert hatte, um diesen Augenblick zu erleben. Das Morgen schien ebenfalls fern, doch das war ein Trugbild, wie er wußte. Das Morgen lag direkt vor ihm.
So vieles war vollbracht worden, sinnierte er. Doch nicht genug. Er drehte sich um und schaute auf das schlafende Mädchen aus dem Tal hinab. Sie war diejenige, von der alles abhängen würde. Das wollte sie natürlich nicht glauben und auch nicht die Wahrheit über die Kraft des Wünschliedes, denn sie zog es vor, den Elfenzauber mit menschlichen Augen zu sehen, und dieser Zauber war niemals für Menschen faßbar gewesen. Er hatte ihr gezeigt, was der Zauber vermochte - nur einen kleinen Blick hatte er sie auf die Grenzen werfen lassen, an die man ihn führen konnte, denn mehr hätte sie, wie er begriff, nicht ertragen können. In ihrem Verständnis der Magie war sie ein Kind, und das Erwachsenwerden würde ihr schwerfallen. Um so schwerer, so wußte er, als er ihr nicht helfen konnte.
Er schlang unter seinen schwarzen Gewändern die Arme dicht um seinen Leib. Konnte er ihr wirklich nicht helfen? Da war es wieder. Er lächelte grimmig. Diese Entscheidung, daß er niemals alles offenbaren sollte, niemals mehr, als er für notwendig hielt - jene Entscheidung, daß, wie einstmals bei Shea Ohmsford, derjenige am besten selbst die Wahrheit in Erfahrung brachte, der mit ihr arbeiten würde. Er könnte sie ihr natürlich sagen - oder es zumindest versuchen. Ihr Vater würde empfohlen haben, sie ihr zu eröffnen, denn er hatte bei dem Elfenmädchen Amberle die gleiche Ansicht vertreten. Doch es lag nicht bei Wil Ohmsford, eine Entscheidung zu fällen. Es lag bei ihm.
Es lag stets bei ihm.
Ein Hauch Bitterkeit verzog seinen Mund. Dahin waren die Ratssitzungen von Paranor, da viele Stimmen und viele Köpfe sich zusammengetan hatten, um Lösungen für die Probleme der Menschheit zu finden. Die Druiden, die weisen Männer von einst, existierten nicht mehr. Die Geschichtsbücher, Paranor und alle Hoffnungen und Träume, die sie einmal genährt hatten, waren dahin, und nur er war noch geblieben.
Nun lasteten alle Probleme der Menschheit auf seinen Schultern, wie es stets gewesen war und immer bleiben würde, solange er lebte. Auch diese Entscheidung hatte er gefällt. Er hatte sie gefällt, als er das zu werden beschloß, was er war. Aber er war der Letzte. Würde es noch jemanden geben, der die gleiche Entscheidung traf, wenn er dahingeschieden war?
Einsam und unsicher stand er am Rand der Schatten des Waldes und blickte auf Brin Ohmsford hinab.
Bei Tagesanbruch befanden sie sich wieder auf ihrem Ritt ostwärts. Es war ein weiterer strahlend sonniger Herbsttag - warm, süß und erfüllt von Träumen dessen, was sein könnte. Als die Nacht sich vom Wolfsktaag-Gebirge nach Westen verzog, schob sich die Sonne vom östlichen Horizont herauf und sickerte von den Baumkronen in goldenen Streifen, die bis in die dunkelsten Winkel des Landes reichten, sich ausbreiteten und die Dunkelheit vor sich hertrieben. Selbst in der weiten, öden Einsamkeit der abweisenden Berge machte sich ein Gefühl von Wohlbehagen und Frieden breit.
Brin dachte an zu Hause. Wie herrlich das Tal an einem solchen Tag sein mußte, stellte sie sich vor, als sie ihr Pferd über die Kammlinie lenkte und die Sonnenwärme auf ihrem Gesicht spürte. Selbst hier breiteten sich die Farben der Jahreszeit in wildem Durcheinander vor einem Hintergrund von Moos und Bodenbewuchs aus, der noch sommerliches Grün aufwies. Gerüche von Leben erfüllten ihre Nase, daß die Mischung sie berauschte. In Shady Vale würden die Dorfbewohner jetzt aufwachen und mit ihrem Tagwerk
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