Shannara VI
versuchen, einige Dinge zu ergründen, aber mein Geist wandert einfach umher.«
Sie sagte einen Moment lang gar nichts, hielt die Augen abgewandt und schaute über den Fluß hinweg. »Du versuchst alles zu erzwingen«, sagte sie schließlich.
Er sah sie an.
»Du gehst an alles heran, als hättest du das letzte Mal Gelegenheit dazu. Du bist wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter eine Aufgabe übertragen bekommen hat. Es bedeutet dir so viel, daß du es dir nicht leisten kannst, auch nur den kleinsten Fehler zu machen.«
Er zuckte die Achseln. »Nein, so bin ich nicht. Vielleicht scheine ich im Moment so zu sein, aber das bin nicht wirklich ich. Außerdem, wer ergründet jetzt wen?«
Sie begegnete seinem Blick direkt. »Ich ergründe dich nicht. Ich teile dir meinen Eindruck mit. Das unterscheidet sich von dem, was du getan hast. Du hast mich zu ergründen versucht.«
»Oh.« Er glaubte ihr keinen Moment lang. Sein Gesicht zeigte das, und er machte sich nicht die Mühe, es zu verbergen. »Wie dem auch sei, etwas intensiv zu wollen, ist doch nichts Schlechtes.«
»Erinnerst du dich daran, als ich dir erzählt habe, daß ich schon viele Männer getötet hätte?« Er nickte. »Das war eine Lüge. Oder zumindest eine Übertreibung. Ich habe das nur gesagt, weil du mich wahnsinnig gemacht hast.« Sie schaute nachdenklich fort. »Es gibt vieles an mir, was du nicht verstehst. Ich glaube nicht, daß ich dir alles erklären kann.«
Er sah sie fest an, aber sie weigerte sich, seinen Blick zu erwidern. »Ich habe dich aber nicht gebeten, etwas zu erklären«, erwiderte er abwehrend.
Sie ignorierte ihn. »Du bist sehr gut mit diesem Schwert. Fast so gut wie ich. Ich könnte dich lehren, noch besser zu sein, wenn du willst. Ich könnte dir eine Menge beibringen. Erinnere dich daran, was im Whistledown mit dir passiert ist, als du mich packen wolltest. Ich könnte dich lehren, das auch zu können.«
Er errötete. »Das wäre nicht geschehen, wenn…«
»…du bereit gewesen wärst.« Sie lächelte. »Ich weiß, das hast du schon mal gesagt. Aber der Punkt ist, daß du nicht bereit warst - und sieh, was geschehen ist. Außerdem zählt wirklich nur, daß man bereit ist. Padishar hat mich das gelehrt. Bereit zu sein ist sicherlich wichtiger, als etwas intensiv zu versuchen.«
Er preßte die Kiefer zusammen. »Bist du bald fertig damit, in allen Einzelheiten festzustellen, was ich anders machen sollte? Oder möchtest du vielleicht noch etwas hinzufügen?«
Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Sie sah ihn nicht an, sondern hielt ihren Blick auf den Fluß gerichtet. Er wollte noch etwas sagen, besann sich aber dann eines Besseren. Sie schien plötzlich seltsam verwundbar. Er beobachtete, wie sie die Knie hochzog und den Kopf darauflegte. Er konnte langsam und gleichmäßig das Geräusch ihres Atems hören.
»Ich mag dich sehr«, sagte sie schließlich. Sie hielt ihr Gesicht weiterhin gesenkt. »Ich wollte nicht, daß dir etwas geschieht.«
Er wußte nicht, was er sagen sollte. Er sah sie einfach nur an.
»Darum bin ich hier«, sagte sie. »Darum bin ich gekommen.« Sie hob den Kopf und sah ihn an. »Wie denkst du darüber?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich denken soll.«
Sie atmete tief ein. »Damson hat mir von Quickening erzählt.«
Sie sagte dies so, als könnten die Worte in ihrem Mund Feuer fangen. Ihr Blick suchte den seinen, und er sah, daß sie Angst vor dem hatte, was er wohl denken mochte, aber auch entschlossen war, dies dennoch zu Ende zu führen. »Damson sagte, du hättest Quickening geliebt und daß dieser Verlust das Schlimmste war, was dir je widerfahren ist. Sie hat mir davon erzählt, weil ich sie gefragt habe. Ich wollte etwas über dich erfahren, was du mir nie selbst erzählt hättest. Dann wollte ich mit dir darüber sprechen, aber ich wußte nicht, wie ich das anfangen sollte. Ich bin eine sehr gute Zuhörerin, aber keine gute Fragerin.«
Morgan blinzelte. Er sah so flüchtig wie Rauch Quickening als eine makellose, silberhaarige Vision in seinem Geist. Der Schmerz, den er bei der Erinnerung empfand, hatte noch immer nicht nachgelassen. Er versuchte ihn auszuschließen, aber es war sinnlos. Er wollte sich nicht erinnern, aber die Erinnerung war immer da, gerade so, am Rande seines Denkens.
Matty Roh legte ihre Hände impulsiv über die seinen und sagte zögernd: »Ich könnte jetzt zuhören, wenn du es zulassen würdest. Ich fände es schön, wenn es dazu
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