Shannara VI
wieder am Ufer eines Flusses, der dunkel und schnell in der Nacht, voller Kraft sein breites, gerades Flußbett hinabschoß. Er wußte, daß es nicht wirklich ein Fluß war, daß es etwas anderes war, aber er wußte nicht, was das sein konnte. Er sah eine Brücke, die ihn überspannte, und eilte auf sie zu. Hinter sich konnte er das Wesen folgen hören. Er sprang auf die Brücke, die sich weit wölbte und aus Holzplanken und Eisennägeln erbaut war. Seine Stiefel machten beim Laufen keine Geräusche. Seine Schritte blieben lautlos. Die Brücke war ihm als Fluchtweg erschienen, als er begonnen hatte, sie zu überqueren, aber jetzt merkte er, daß er das andere Ufer nicht sehen konnte. Er schaute zurück, und der Wald war ebenfalls verschwunden. Der Himmel hatte sich gesenkt, und das Wasser war gestiegen, und plötzlich befand er sich in einer Falle, die sich um ihn schloß.
Das Wesen, das ihn verfolgte, zischte. Es gewann schnell an Boden, und es wuchs, während sich die Falle verengte.
Par wandte sich dann um, denn er wußte, daß er nicht entkommen konnte, daß er in eine Falle geführt worden war, daß alles, was er mit seinem Davonlaufen zu gewinnen erhofft hatte, verloren war. Er wandte sich um und erinnerte sich währenddessen daran, daß er doch nicht wehrlos war, daß er die Macht des Wunschgesangs besaß und daß die Elfenmagie ihn vor allem schützen konnte. Eine Woge der Hoffnung durchflutete ihn, und er rief die Magie zu seinem Schutz herauf. Sie schoß als wilder, euphorischer Ansturm weißen Lichts durch ihn hindurch, wodurch sein Blut in Feuer und sein Körper in Eis verwandelt wurde. Er spürte, wie es ihn ausfüllte, spürte, wie es ihn in die Rüstung seiner Macht hüllte und ihn unverwundbar machte.
Er sah dem Wesen, das ihm folgte, erwartungsvoll entgegen.
Es kroch aus der Nacht heraus wie eine Katze, ein Wesen ohne Form oder Substanz. Er konnte es spüren, lange bevor er es sah. Er konnte spüren, wie es ihn beobachtete, dann wie es atmete, dann wie es sich heranzog. Es befand sich zuerst auf einer Seite und dann auf der anderen und schließlich überall. Aber er wußte, daß er so lange nicht in Gefahr war, bis er das Gesicht des Wesens sehen konnte. Es wand und drehte sich um ihn herum, blieb sorgfältig außer Reichweite, und er wartete darauf, daß es müde würde.
Dann begann es sich zu materialisieren, und es war nicht seltsam oder mißgebildet und auch nicht so groß. Sein Körper hatte die Größe und Gestalt seines eigenen, und es stand direkt vor ihm und glich ihm in allem. Bis auf sein Gesicht. Er ließ die Magie des Wunschgesangs in seine Fingerspitzen fließen und hielt sie dort fest wie einen in einer Bogensehne zurückgezogenen Pfeil, fest angespannt, voller Begierde, ausgelöst zu werden, rasiermesserscharf. Das Wesen vor ihm beobachtete ihn. Sein Kopf war jetzt ihm zugewandt, aber sein Gesicht war trübe und verschwommen. Seine Stimme flüsterte erneut.
Schattenwesen. Schattenwesen.
Dann setzte sich sein Gesicht zusammen, und Par betrachtete sich selbst.
Schattenwesen. Schattenwesen.
Par erschauerte und ließ die Magie des Wunschgesangs auf das Wesen zuschießen. Das Wesen fing sie auf, und sie war fort. Par sandte die Magie ein zweites Mal, ein Hammerschlag der Macht, der das Wesen in Rauch verwandeln mußte. Das Wesen schluckte sie, als sei sie Luft. Sein Gesicht lächelte ihn an, wirkte hohl und an den Rändern ausgefranst, ein Trugbild, das wieder in der Hitze zu verschwinden drohte.
Weißt du nicht?
Erkennst du nicht?
Die Stimme flüsterte listig und haßerfüllt auf ihn ein, und er griff erneut an, und wieder und wieder flog die Magie aus ihm heraus. Aber etwas Seltsames geschah. Je stärker er die Magie anrief, desto erfreuter schien das Wesen zu sein. Er konnte seine Befriedigung spüren, als sei sie greifbar. Er konnte sein Vergnügen spüren. Das Wesen verwandelte sich, gewann noch mehr an Substanz, nährte sich von der Magie und saugte sie in sich ein.
Verstehst du nicht?
Par stöhnte auf und trat zurück. Er war sich jetzt bewußt, daß er sich ebenfalls verwandelte, Form und Gestalt verlor und sich zersetzte wie Holz, das zu Asche wird. Er klammerte sich verzweifelt an sich selbst und sah, wie die Hände durch seinen Körper hindurchglitten. Das Wesen kam näher und streckte sich nach ihm aus. Er sah sich selbst in seinen Augen widergespiegelt.
Schattenwesen. Schattenwesen.
Er sah sich selbst, und er erkannte, daß kein Unterschied mehr zwischen ihnen
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