Shannara VI
guter Sohn, Mutter? War ich es?« Er lachte. »Ihr habt niemals Verdacht geschöpft, nicht wahr? Felsen-Dall sagte, Ihr würdet keinen Argwohn hegen. Er sagte, Ihr würdet mich mögen und mir vertrauen wollen, würdet jemanden brauchen, nachdem Ihr auf Morrowindl Euren großen Freund verloren habt.«
Wren spürte Bitterkeit in sich aufsteigen, die sich mit Scham und Verzweiflung vermischte. Tib Arne beobachtete sie einen Moment lang und lachte.
Und dann breitete Gloon die Schwingen aus, und sie flogen ostwärts über die Ebenen, eilten von den Westlandwäldern, den Kriechern, der Föderationsarmee und den Elfen fort. Sie beobachtete, wie alles allmählich im Sonnenuntergang und dann in den Schatten verschwand und die Nacht in dunstigem, grauen Licht herabstieg. Sie flogen in die Dunkelheit hinein, folgten der Linie des Mermidon nach Callahorn hinein, passierten Kern und Tyrsis und flogen durch das Grasland nach Süden.
Die Mitternacht kam, und sie stiegen zu einer dunklen Fläche hinab, auf der ein Wagen und Reiter warteten. Die Männer trugen schwarze Umhänge und das Wolfskopfemblem der Sucher. Es waren acht, alle warteten dunkel und schweigsam in ihren Gewändern. Geister in der Stille der Nacht. Sie wirkten, als hätten sie Tib Arne und Gloon erwartet. Tib gab einem von ihnen den Beutel mit den Elfensteinen, und zwei andere hoben sie von Gloon herab und brachten sie in den Wagen. Es wurde nichts gesprochen. Wren wandte sich um und versuchte etwas zu sehen, aber das Segeltuch war bereits festgezurrt und gesichert worden.
Sie lag in der Dunkelheit und Stille und hörte das Geräusch von Gloons Schwingen, als er sich wieder in die Luft erhob. Dann machte der Wagen einen Satz und begann vorwärts zu rollen. Räder quietschten, und Pferdehufe trappelten in stetigem Rhythmus durch die Nacht.
Sie war auf dem Weg zur Südwache und zu Felsen-Dall, wie sie wußte, und sie fühlte sich, als habe sich ein großes Loch in der Erde geöffnet, um sie zu verschlingen.
Kapitel 27
Die Dämmerung war fast hereingebrochen, als Morgan Leah den Wagen und die Reiter aus dem Grasland im Westen herankommen sah. Sie wurden langsamer, als sie den Aufstieg zur Südwache beginnen mußten. Er stand auf der Klippe im Süden, wo seit mittlerweile drei Tagen sein Wachposten war, und schaute über das erwachende Land hinweg. Die Sterne und der Mond verblaßten in einem wolkenlosen Nachthimmel, und die Hügel waren dicht mit Nebel bedeckt, der sich an Senken und Täler anklammerte. Die Erde war ein Behältnis für die Vordämmerungsschatten, die mit dem Grau der vergehenden Nacht verschmolzen und gänzlich aufgesogen werden würden, wenn der Morgen kam.
Anders natürlich der Wagen und die Reiter, Schatten mit Substanz, deren Bewegungen sich vor der Dunkelheit abzeichneten. Morgan beobachtete sie schweigend und regungslos, als könnte jegliches Geräusch oder jegliche Bewegung seinerseits sie dazu veranlassen, im Nebel zu verschwinden. Sie waren noch immer ein gutes Stück entfernt, fast verloren in der Dämmerung, und schimmerten vor der Nacht wie dunkle Geister.
Sie waren das erste Anzeichen von Leben, das er gesehen hatte, seit er seinen Wachposten bezogen hatte. Und wie er erkannte, waren sie diejenigen, auf die er gewartet hatte.
Drei Tage waren vergangen, und niemand war in die Südwache hineingegangen oder auch herausgekommen. Niemand war auch nur in die Nähe gelangt. Das Land war offenbar bar allen Lebens, bis auf eine Handvoll Vögel, die zielstrebig in Sicht kamen und wieder daraus verschwanden. Auf dem Mermidon und dem Regenbogensee waren Skiffs zu sehen gewesen, aber alle waren gen Süden gefahren, weit an der Zitadelle der Geächteten vorbei. Morgan hatte lange und sorgfältig nach Anzeichen von Leben in dem Obelisken Ausschau gehalten, aber es waren keine zu sehen gewesen. Er hatte zeitweise geschlafen und war einen guten Teil der Tage und Nächte wach geblieben, um die Chance, daß jemand an ihm vorbeischlüpfte, gering zu halten. Er hatte beobachtet und gewartet, und nichts war geschehen.
Aber jetzt waren da ein Wagen und Reiter, und er war sich bereits sicher, daß sie zur Südwache wollten.
Er betrachtete sie näher und wußte dann auch, daß sie Sucher waren. Er konnte es an den schwarzen Umhängen und Kapuzen, an der Art, wie sie sich hielten und an der dunklen Verschwiegenheit ihres Herannahens erkennen. Sie kamen heimlich und im Schutz der Nacht, und sie wollten, daß nicht bekannt würde, was auch immer sie
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