Shannara VII
nicht dein Vater. Du bist kein dunkles Wesen wie er, auch nicht durch Geburt. Deine Magie gehört dir ganz allein. Du mußt ihre Macht tragen, und das ist ein schweres Gewicht. Aber wenn die Magie dir auch von deinem Vater mitgegeben wurde, so bestimmt sie doch nicht deinen Charakter oder die Beschaffenheit deines Herzens. Du bist eine gute und starke Person, Mareth. Du bist absolut nicht die dunkle Kreatur, die dich gezeugt hat.«
Mareths Kopf ruhte an seiner Schulter. »Das kann man nicht wissen. Ich könnte genau das sein.«
»Nein«, beruhigte er sie. »Nein. Du bist nicht wie er, Kind. Überhaupt nicht.«
Er strich ihr übers Haar und drückte sie an sich. Er ließ sie weinen, ließ den Schmerz und die Qual so vieler Jahre hinausfließen und versiegen. Sie würde danach leer und betäubt sein, und er würde sie mit neuer Hoffnung und neuem Ziel erfüllen müssen.
Er glaubte, eine Möglichkeit gefunden zu haben, wie er ihr all dies geben konnte.
Zwei ganze Tage verstrichen, bevor Kinson Ravenlock zurückkehrte. Er kam bei Abenddämmerung aus dem Tal hoch, schritt aus dem orangefarbenen Licht heraus, das durch den Rauch und das Feuer von Dechteras großen Schmelzöfen entstand. Er sehnte sich danach, bei ihnen zu sein, ihnen von den Neuigkeiten zu erzählen, und schwungvoll warf er seinen staubigen Umhang von sich und umarmte beide Gefährten überschwenglich.
»Ich habe den Mann gefunden, den wir brauchen«, verkündete er, während er sich im Gras niederließ und den Bierschlauch entgegennahm, den Mareth ihm reichte. »Genau der richtige Mann, denke ich.« Sein Lächeln wurde breiter. »Unglücklicherweise ist er nicht ganz meiner Meinung. Jemand wird ihn davon überzeugen müssen, daß ich recht habe. Deshalb bin ich zu euch zurückgekehrt.«
Bremen nickte und deutete auf den Bierschlauch. »Trink und iß etwas, und dann erzähl uns alles darüber.«
Im Westen versank die Sonne hinter dem Horizont, und das Licht änderte rasch seine Farbe und Beschaffenheit. Kinson konnte einen Schimmer von Sorge in den Augen des alten Mannes entdecken. Ohne etwas zu sagen, blickte er Mareth an. Mutig hielt sie seinem Blick stand.
Der Grenzländer ließ den Bierschlauch sinken und betrachtete die beiden ernst. »Ist etwas geschehen, während ich fort war?«
Es herrschte einen Augenblick Stille. »Wir haben uns Geschichten erzählt«, antwortete Bremen. Er lächelte wehmütig, schaute zu Mareth und dann wieder zu Kinson. »Möchtest du eine von ihnen hören?«
Kinson nickte nachdenklich. »Wenn du glaubst, daß dafür Zeit ist.«
Bremen streckte seine Hand nach Mareth aus, und das Mädchen gab ihm ihre Hand. Tränen standen in ihren Augen.
»Ich denke, wir sollten uns die Zeit für diese eine nehmen«, meinte der alte Mann. Allein sein Tonfall ließ Kinson nicht daran zweifeln, daß er recht hatte.
Kapitel 23
Urprox Screl saß allein auf der alten Holzbank. Er hatte sich vornübergebeugt und die Ellbogen auf den Knien aufgestützt, in der einen Hand das Schnitzmesser, in der anderen einen Holzblock. Geschickt bewegten sich seine Hände hin und her, drehten sich mal in die eine, mal in die andere Richtung; und mit kleinen, kurzen Stößen aus dem Handgelenk schnitzte er kleine Formen und ließ die Späne aufwirbeln. Etwas Wunderbares entstand, auch wenn er noch nicht sicher war, was es war. Das Geheimnisvolle war ein Teil des Vergnügens. Ein Holzblock legte immer bestimmte Möglichkeiten nahe, bevor er das Messer in die Hand nahm. Man mußte nur genau hinsehen, um sie zu erkennen. Wenn er dies erst geschafft hatte, war die Arbeit bereits zur Hälfte getan, und das Herausarbeiten der konkreten Form schien beinahe wie von selbst zu gehen.
Es war Abend in Dechtera, und das Licht verblaßte zu einem dunstigen Grau, in dem die Schmelzöfen nicht mehr mit ihren glühendweißen Augen glitzerten. Die Hitze war drückend, aber Urprox Screl war an Hitze gewöhnt, und daher störte es ihn nicht, dort zu sitzen. Er hätte zu Hause bei Mina und den Kindern bleiben können, mit ihnen essen können, wenn der Tag sich dem Ende zuneigte, auf der langen Veranda hin und her schaukeln oder unter dem Schatten des alten Hickorynußbaums ausruhen können. Es war ruhig dort und kühl, denn sein Haus lag am Rand der Stadt. Unglücklicherweise war genau das auch das Problem. Ihm fehlten der Lärm und die Hitze und der Gestank der Brennöfen. Wenn er arbeitete, wollte er sie in seiner Nähe haben. Sie waren so lange ein Teil seines
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